| Eine bestimmte Form von Glück "Spätsommermord" 
          von Inger Wolf
"Wer ist  sie?" fragte Trokic."Wissen  wir nicht", sagte der eine Kriminaltechniker.
 "Wir  haben keinen Ausweis gefunden."
 Vor Trokic lag  eine junge Frau auf dem Rücken. Das blonde Haar umrahmte das Gesicht, und ihre  Augen, das eine blau, das andere braun, fixierten, matt und blutleer wie unter  einer zarten, milchigen Haut, einen Punkt in der Stille des Waldes. Der Mund  war im letzten Atemzug erstarrt. Trokic verspürte den Drang, eine Decke über  sie zu breiten.
 
 Die Frau lag nackt auf der Lichtung. Mit gespreizten  Armen und Beinen ruhte sie auf einem Lager aus herabgefallenen Blättern, auf  ihrer Brust lag ein Kranz aus getrockneten Schierlingsblüten. Die junge,  alleinerziehende Mutter und Anthropologiestudentin Anna Kiehl ist tot. Sie kam  von ihrem täglichen Waldlauf nicht zu ihrem dreijährigen Sohn nach Hause  zurück. Sie liegt mit durchschnittener Kehle im Wald. Die Kriminaltechniker  finden Spermaspuren. Außer diesen Spuren und ihrer Nacktheit weist nichts auf  ein Sexualverbrechen hin. Die Ermittlungen führen die Beamten in verschiedene  Richtungen. Als sich herausstellt, dass die Tote schwanger war, wird fieberhaft  nach dem Vater gesucht. Bald gerät ein erfolgreicher Chemiker ins Visier der  Ermittler. Aber auch dieser wird vermißt. Als dessen Leiche gefunden wird,  überschlagen sich die Ereignisse und eine Jagd beginnt, die zurück in die  Vergangenheit führt und alle Beteiligten in Lebensgefahr bringt.
 
 Alle Protagonisten dieses Kriminalromans sind auf  der Jagd nach dem Glück. Die Beamten   nach ihrem kleinen privaten Glück oder sie trauern dem Verlust dieses  Glückes nach. Die Toten, die für ihr kleines privates Glück büßen mußten und  der Mörder, der auf seine Art auch auf der Suche nach dem vollkommenen Glück  ist oder es bewahren möchte. Das Streben nach der Glückseligkeit, die im  Eudämonismus, diejenige Richtung in der Ethik ist, die das letzte Ziel alles  Strebens ist, ist das eigentliche Thema dieses Krimis. Die Lehre, die das Glück  zum Maßstab des Guten und Schlechten, zum Maßstab aller Dinge macht. Zum  Moralprinzip schlechthin. Als höchsten oder einzigen Zweck des Handelns. Da  aber das Glück in sehr verschiedenen Dingen gesucht werden kann, liegt die  Gefahr nahe, dass das Glück des einen, dass Unglück des anderen bedingen kann.  Inger Wolf zeigt in "Spätsommermord" auf, das dass, was man unter  Glück versteht, immer subjektiv ist und ein Urteil über seinen Wert oder Unwert  zunächst immer davon abhängt, was unter Glückseligkeit verstanden wird -  Glückseligkeit, für die manche bereit sind zu töten.
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Inger Wolf stellt in ihrem Debütroman das  Ermittlerteam Daniel Trokic und Lisa Kornelius vor. Trokic ist das Produkt  eines unmöglichen Verhältnisses. Einer Urlaubsliebe seiner dänischen Mutter mit  seinem kroatischen Vater. Die Beziehung zerbrach und seine Mutter kehrte nach  Dänemark zurück, wo er auf die Welt kam. Später besuchte er seine kroatische  Familie und hielt sich auch für längere Zeit dort auf. Bis die Auswirkungen des  Balkankrieges auch ihn persönlich einholten. Verlust von Familienmitgliedern  und persönliche Enttäuschungen führten dazu, dass er in diesen Zeiten das  Vertrauen in die Menschen verlor. Er lebt allein, ist eher von der  verschwiegenen Sorte und ein Einzelgänger. Die Kriminalassistentin Lisa  Kornelius ist neu in der Mordkommission. Eigentlich ist sie IT-Spezialistin,  hat aber genug von Auswertungen von Pädophile und Kinderpornographie. Sie hat  ein gespaltenes Verhältnis zu Trokic, wird aber von ihren Kollegen respektiert.  Sie ist Anfang dreißig und wohnt auch allein. Trokic selber hat große Achtung  vor ihrer Arbeit und keinerlei Probleme mit ihr. Aber er weiß nicht, was sie im  Morddezernat zu suchen hat.
 Dennoch ist das große Thema das Glück. Das  Hinterherjagen und das Festhalten wollen dieses Phantoms. Auch der Chemiker war  auf der Suche nach dem Glück. Dies ist jedoch mehr wissenschaftlich fundiert.  Was ist Glück - welche chemischen Reaktionen führen in unserem Hirn dazu, Glück  zu empfinden. Und er war auf  der Spur  dessen, was Glück ist. Aber wäre es ein Segen für die Menschen nur Glück zu  empfinden? Auf jeden Fall ist es ein großer Quell des Reichtums für denjenigen,  der ein Mittel zum Glücklichsein finden würde. Die Pharmaindustrie würde für  ein Medikament, das Depressionen vergessen lassen würde und das keine  Nebenwirkungen hätte, viel Geld zahlen. Liegt hier ein Motiv für den Tod von  Christoffer Holm und seiner Freundin? Hat doch der Biochemiker eine Abrechnung  mit dem verzerrten sagenumwobenen Bild von der biologischen Psychiatrie und der  Psychopharmalogie geschrieben. Wollte er seine Forschungsergebnisse nicht  verkaufen und war jemand so sehr daran interessiert, dass er über Leichen geht?
 
 Oder ist es doch wieder eine Geschichte, bei der  Egoismus, die Selbstliebe, der Trieb zur eigenen Glückseligkeit zum Auslöser  von verhängnisvollen Ereignissen wird. Ist das Motiv, das diese ganzen  Mordfälle auslöst, die Tatsache, dass das Motiv unseres Wollens die Lust ist  und manche Menschen darüber alles vergessen? Ja alles dafür tun würden? So wie  es in dem Kriminalroman "Spätsommermord" von Inger Wolf heißt:
 
 "Ach,  die alte Geschichte von dem Mann, der von seiner besoffenen Frau im Bett nicht  mehr kriegt, was er braucht. Da hat er es bei mir geholt."
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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