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      | Menschen ohne Macht über ihr eigenes Leben "Verdunkelung" 
          von Anders Bodelsen
Es war die Schwedische Akademie der Kriminalschriftsteller, 
          die Bodelsen den Preis für "Mørklægning" 
          (erschienen 1988), verlieh. Es ist ein kompakter, effektiver Roman, 
          der kein überflüssiges Wort zu enthalten scheint. Es ist eine 
          zeitlose Geschichte in einem Buch, welches an eine bestimmte Zeit festgemacht 
          ist, den Spätsommer von 1944, wenn jedermann bewusst wird und realisiert, 
          daß die deutsche Besetzung von Dänemark in einer sehr vorhersehbaren 
          Zeit zu Ende gehen wird.
 "Vor 10 Jahren konnten wir einen Aufruhr vermeiden, unbewegt 
          die Besetzung in schwarz und weiß zu sehen und die Deutschen repräsentierten 
          die schwarze Seite", sagt Anders Bodelsen. Zugegebenermaßen 
          lebte die dänische Bevölkerung von Tag zu Tag, aber es gab 
          auch die, die zu den Deutschen zuvorkommender waren, als die Besatzungsmacht 
          es verlangte und es gab einige, die sich nach allen Seiten absicherten. 
          Sie unterstützten beide Seiten und so hatten sie eine Art doppelte 
          Absicherung".
 
 Ich wollte außerdem ein Buch über die aktuelle Besetzung, 
          über die Beziehungen zwischen den Behörden der deutschen Besatzungsmacht 
          und den Behörden des besetzten Dänemarks schreiben.
 
 "Und es war ja die normale Haltung in Dänemark, aber jetzt 
          will man sich nicht länger daran erinnern, und man rächt sich 
          an jenen, die getan haben, worum man sie anbettelte! Der König 
          hat es gesagt. Stauning hat es gesagt. Der kleine Mann von der Straße 
          sagte es auch: Wir müssen sehen, daß es weitergeht!"
 
 Im Roman "Mørklægning" über ungeklärte 
          Morde während der deutschen Besetzung von Dänemark im Zweiten 
          Weltkrieg, sind Staatsangehörigkeit, politische und tief persönliche 
          Aspekte straff miteinander verwoben. Die Kriegsgewinnler, die reicher 
          und reicher werden und die Armen, die in diesem Krieg ärmer und 
          immer ärmer wurden.
 
 Die Geschichte: Der Börsenmakler und Filmstudio-Besitzer Otto Baumann 
          wird nachts auf dem Nachhauseweg mit der Maschinenpistole "hingerichtet". 
          Die Polizei versucht, in diesen Zeiten, wo jede Ordnung und das Gefühl 
          für Recht und Gesetz verloren geht, diesen Fall aufzuklären.
  "Ihr sollt den Fall natürlich aufklären", 
          sagt er. "Es handelt sich um einen Mord. In Dänemark klärt 
          die Kriminalpolizei Morde immer noch auf!" "Nicht sehr viele." 
          "In Dänemark versucht die Kriminalpolizei zu jeder Zeit, schwere 
          Verbrechen, wie Mord, aufzuklären." "Aber während 
          wir hier sitzen", sagt er, "wird ein neuer begangen."
 Bodelsen versucht aufzuzeigen, wie einer versucht, Recht und Ordnung 
          aufrecht zu erhalten, während neben ihm alles in Chaos und Rechtlosigkeit 
          zerfällt. "Es geschehen so viele Morde in diesen Jahren, die 
          wenigsten werden jemals aufgeklärt. Als Polizist wird man nicht 
          von den großen oder kleinen Geheimnissen gefangen genommen. Der 
          Tod ist zu einer Routine geworden. Und die Polizei ist verhaßt, 
          egal, ob sie zuviel oder zuwenig tut; ob sie aufrechterhält, was 
          man Recht und Ordnung nennt, oder jenem Anteil an Ungesetzlichkeiten 
          den Rücken zukehrt, den man in der Zukunft sicher Patriotismus 
          nennen wird."
 
 Die Frage, die ihn beschäftigt ist, ob es Recht im Zustande des 
          Unrechts überhaupt geben kann. Soll man warten, bis wieder eine 
          Zeit der Rechtmäßigkeit kommt? "Routinemäßig 
          war Nielsen damit beschäftigt, zahlreiche sogenannten banalen Morde 
          je einen Tag Zeit zu widmen - größtenteils am Schreibtisch 
          - und sie dann als unaufgeklärt zu archivieren, mit dem Gedanken, 
          daß man sie vielleicht wieder ausgräbt, wenn der Frieden 
          kommt, und das man für die Zeit erwartet, daß Unterlagen 
          vorliegen".
 
 Da geschieht ein zweiter Mord. Und die Deutschen lösen die dänische 
          Polizei auf. "Die Deutschen sind ungeduldig mit der dänischen 
          Polizei und fürchten sich vor ihr. Die Polizei beginnt die Saboteure 
          zu decken, meinen die Deutschen. Und die Polizei kann zu einem Heer 
          im Rücken der Front werden. Deshalb beschließen die Deutschen 
          an diesem schönen Septembertag, die Polizei zu arrestieren. Das 
          ist vielleicht nicht besonders gut durchdacht. Denn können die 
          Deutschen selbst für Ruhe und Ordnung im zivilen Bereich garantieren 
          - die Deutschen und ihre dänischen Freunde? Doch einer entkommt 
          und verbeißt sich in diesen Fall. Und er findet die Lösung. 
          Weit in der Vergangenheit.
 
 "Ich las "Das Versprechen" von Friedrich Dürrenmatt 
          und die Hauptperson in diesem Roman, Hans Bärlach, faszinierte 
          mich, weil er geradezu besessen war, von der Ausübung von Gerechtigkeit."
 
 "Chaos und Ordnung kämpfen ja immer gegeneinander, auch in 
          Friedenszeiten. Es sind die beiden fundamentalen Kräfte des Seins. 
          Das sind die beiden einzigen Klassen der Gesellschaft. Da gibt es die, 
          die das Chaos und die Unordnung verursachen. Und es gibt die, denen 
          es bestimmt ist, das Chaos zurückzudrängen, wieder und wieder, 
          zurück in das Dunkel, aus dem es entsteht."
 
 "Mørklægning" beschreibt wirklich nicht nur das 
          Tragische oder Heldenhafte, eher das Suchen nach Gerechtigkeit jenseits 
          aller Gründe. Und Gott?
 
 "Aber - in diesen Zeiten. Wie kann der Herr die Übersicht 
          über alles behalten, die das Leben verlieren?" "Das kann 
          er." "Millionen von Leben", flüsterte die Frau. 
          "Millionen von Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder, Piloten, die 
          ihre Bomben ins Ungewisse abwerfen." "Das kann er". (...) 
          Und der Priester spürt, wie er von Schrecken gepackt wird; dem 
          Schrecken der Träume, wo ihm alle den Rücken zuwenden und 
          ihn verlassen.
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
 © Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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      | Matroschkas - "Straus" "Straus" 
          von Anders Bodelsen
"Straus" dessen deutscher Titel "Straus 
          - oder Der zweitbeste Kriminalschriftsteller von Dänemark" 
          ist, ist ein Spiel. Ein Spiel mit den Möglichkeiten und ein Spiel 
          mit dem Genre. Ein Diskurs über den Kriminalroman und über 
          das Schreiben an sich. Ein Vexierspiel. Spiegelungen, das Bild im Bild, 
          die Puppe in der Puppe, wie die russischen Puppen Matroschkas. Der Schriftsteller 
          Anthon Bendix schreibt ein Buch über einen Mord. Den Mord an einer 
          Frau. Und wird zu Anthon Bang. Und wird zum Ich-Erzähler. Alle 
          haben die Initialen A.B. Wie Anders Bodelsen? Aber lassen wir den Ich-Erzähler 
          das Resümee ziehen:
 "Straus" ist ein Buch, das seine Leser garantiert wachhalten 
          wird, nicht nur während der Nacht, sondern auch tagsüber. 
          Es ist eine meisterhafte Studie über Eifersucht und Verfolgungswahn, 
          genial komponiert, so daß der Leser nie völlig gewiß 
          sein kann, wo die Realität endet und die Phantasie einsetzt. Darüber 
          hinaus vermeidet es zum Glück, sich in die Kategorie zungenfertiger 
          psychiatrischer Fallstudien oder dieser oberflächlichen sozialkritischen 
          Machwerke einzureihen, in welchem der Autor die irrationalen unbestimmten 
          Ängste des Menschen in Bausch und Bogen unserer kranken Gesellschaft 
          ankreidet. Der Leser muß Augen und Ohren offenhalten, denn in 
          dem Roman wimmelt es von versteckten Anspielungen, die alles was der 
          Autor bisher geschrieben hat, zu einer neuen und überzeugenden 
          Einheit verschmelzen lassen. Mit "Straus" hat der Kriminalroman 
          zweifelsfrei seinen Höhepunkt erreicht. Es ist ein Buch, das viele 
          Leser verdient und sie reich belohnen wird...
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Der Autor hat sein Leben mit noch nie dagewesenem Mut unter die Lupe 
          genommen - trotzdem ist das Buch nicht exhibitionistisch - dafür 
          ist das Thema viel zu alltäglich. Der Roman wird als Schlüsselroman 
          verstanden werden, ist es aber nicht, da wir alle einen Straus in uns 
          haben, wahrscheinlich einschließlich Straus´ selber. Das 
          Buch ist konstruiert, um seine Leser zu fesseln, dabei verrät der 
          Autor aber nie sein Hauptanliegen um des billigen Effektes willen. Man 
          kann sich vorstellen, daß das Niederschreiben des Werkes ein ungeheurer 
          und vielleicht gleichzeitig schmerzhafter Läuterungsprozeß 
          war, daß diese Läuterung aber Stil und Aussage des Autors, 
          die beide im Begriff waren in der Routine zu erstarren, eine völlig 
          neue Erhabenheit und Befreiung verliehen haben. Gleichzeitig ist das 
          Buch eine ätzende Anklage gegen eine Gesellschaft, die das Individuum 
          zu einem Punkt treibt, wo die Sucht nach Anerkennung so übergewaltige 
          Formen annimmt, daß sie zur Krankheit wird. "Straus" 
          ist eine Fallstudie der Wettbewerbsgesellschaft in all ihrer Häßlichkeit, 
          dabei so unterhaltsam geschrieben, daß man das Buch nicht aus 
          der Hand legen kann, ehe man es nicht zu Ende gelesen hat...
 "Straus" ist eine Studie über einen kranken Geist, geschrieben 
          mit an die Tasten der Schreibmaschine geknüpften Nervenenden; schnell 
          gelesen, langsam vergessen. Es wäre schade, hier die vielen darin 
          enthaltenen Spitzfindigkeiten und Überraschungen zu verraten, außerdem 
          sind sie ja auch nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist, dass der 
          Autor uns zu einer Konfrontation, wenn nicht sogar Identifizierung mit 
          einem kranken Mann zwingt und wir aufgerüttelt zugeben müssen, 
          dass wir alle krank sind. Wir sind zivilisierte Geschöpfe hinter 
          einen dünnen schützenden Schale der Normalität - bis 
          der Zufall diese Schale wegreißt und wir entblößt zugeben 
          müssen, dass wir alle wahnsinnig sind. Wie alle guten Ärzte 
          hat der Autor seine bittere Pille versüßt, trotzdem bleibt 
          die Pille bitter, und wir sollten klug genug sein, sie um unserer Gesundheit 
          willen zu schlucken
 
 "Straus" ist ein Roman, der seine Vorbilder findet, wo er 
          es kann. In seinem komplizierten Aufbau, wo Schicht auf Schicht freigelegt 
          wird und der Blickpunkt wechselt wie von Spiegeln, die andere Spiegel 
          widerspiegeln, erinnert das Buch vielleicht an Nabokov, erzählt 
          aber zur gleichen Zeit die Geschichte eines Verbrechens, und zwar mit 
          sämtlichen unerlässlichen Spannungselementen, die von einem 
          klassischen Kriminalroman gefordert werden. Die Tagebuchform baut auf 
          einer langen Tradition in der dänischen Literatur auf, darüber 
          hinaus hat der Autor auch nicht die Möglichkeiten eines roman à 
          clef übersehen. Das Erstaunliche dabei aber ist, dass er alle diese 
          Elemente zu einem völlig neuartigen Kunstwerk verarbeitet hat, 
          zu etwas in der dänischen Literatur noch nie Dagewesenem. ..
 "Straus" steht vorn auf dem Schutzumschlag, und ich muß 
          gestehen, dass ich das Buch ohne große Begeisterung aufgeschlagen 
          habe. Auch der Klappentext hörte sich wenig vielversprechend an. 
          Ich möchte den Lesern auch nicht verhehlen, dass ich Kriminalromane, 
          die zu literarisch sind, um wirklich spannend zu sein, oder zu sehr 
          auf Spannung geschrieben, um sich selbst noch ganz ernst zu nehmen, 
          mit größter Skepsis angehe. Lassen Sie mich aber vorwegschicken: 
          Diesmal war meine Skepsis fehl am Platz, und ich bin bereit, das gesamte 
          Werk eines Autors mit neuen Augen zu betrachten. "Straus" 
          ist ein großes Buch, größer, als wir es gewöhnlich 
          in unserem kleinen Dänemark vorgesetzt bekommen. Es ist ein Buch, 
          das einem Einblicke in sich selbst vermittelt. Und ich sage ohne Umschweife: 
          Das Buch hat mich mit Unruhe erfüllt. Wir haben in diesem Land 
          viele Menschen, die Bücher schreiben, aber wir haben nicht viele 
          Autoren. Das Wort gewinnt, während ich es niederschreibe, plötzlich 
          eine neue Bedeutung: Personen, die besondere Kenntnisse an uns weitergeben 
          können. Wir haben einen neuen Autor. Seit Straus' Tod ist er der 
          größte.
 
 So der Ich-Erzähler in diesem Buch, der eine Art Rezension des 
          Romans im Roman verfasst. Aber A.B. scheint es, kennt Don Quixote. So 
          wie in diesem Buch dringt der Text in sich selbst und wird zum Objekt 
          seiner Erzählung. Don Quixote und die Figuren dieses Romans verlieren 
          durch ihre Verdoppelungen, durch ihre Spiegelungen, endgültig die 
          zerbrechlichen Beziehungen in der sie zur Welt stehen und sind nur mehr 
          Sprachfiguren, völlig an das Wort gebundene Gestalten. So können 
          es die literarisch interessierten Leser diesen Kriminalroman betrachten. 
          Die eher philosophischen Leser können vielleicht mit dem Leibniz'schen 
          Monaden-Weltbild argumentieren: Jede Welt ist darin von einer anderen 
          durchdrungen und alle diese Welten haben ihre Berechtigung. Beim Wechsel 
          des Standpunktes ändert sich auch die Bedeutung des ganzen. Es 
          ist ein Buch über das Schreiben eines Buches.
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
 © Januar 2006 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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      | Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus "In 
          guten und in bösen Tagen" von Anders Bodelsen
Schon in seinem zweibändigen Roman "De gode 
          tider", 1977 und "År for år", 1979, kultivierte 
          Bodelsen den "Neurealismus", zu dessen dänischen Verfechtern 
          er gehört. Diese Gattung entstand als Gegenbewegung zum "Modernismus". 
          In diesen Büchern zeigt er, wie eine wettbewerbsfähige und 
          fürsorgliche Gesellschaft zu einer Entwurzelung und zu einem Durcheinander 
          im Leben einer Einzelperson führt. Die Vergangenheit ist etwas, 
          vor der man flieht, die persönliche Bedeutung ist verloren und 
          die Einzelperson wird dem willkürlichen Entwurf der Zeiten unterworfen.
 Diesem ethische Blickwinkel wird Hauptgewicht in den neueren Romanen 
          von Bodelsen gegeben - "Borte Borte", 1980, "Over Regnbuen", 
          1982 und "Domino", 1984. Es ist wieder markant, daß 
          Bodelsen sich zurückhält, dem Leser ' reine ' eindeutige Charaktere 
          zu geben. Seine Figuren agieren im Allgemeinen aus verschiedenen Motiven. 
          "Praktisch jeder sollte die Hauptperson sein können. Simenon 
          hat einmal in einem Interview gesagt: Wer kann in einem Roman die Hauptrolle 
          übernehmen? Antwort: Jeder, der zum Äußersten getrieben 
          wird. Hinzu kommt, daß gewöhnlich in einem Roman alles vom 
          Blickpunkt der Hauptperson aus berichtet wird. Er kann die anderen, 
          aber nicht sich selbst sehen. Es sei denn, der Autor stellt ihn vor 
          einen Spiegel
"
 
 Die Geschichte des Romans "Borte Borte" ist kurz erzählt: 
          Niels Møller, Musikalienhändler, steckt in finanziellen 
          Schwierigkeiten. Er hat einen großen Posten elektronischer Orgeln 
          übernommen und sie liegen wie Blei im Lager. Da bekommt er einen 
          Ausweg aus seinen geschäftlichen Sorgen angeboten. Ein junger Mann 
          macht ihm ein verführerisches Angebot. Er bietet ihm an, sein Lager 
          voller elektronischer Orgeln in Brand zu stecken. Und die Versicherung 
          soll zahlen. Møller ist hin- und hergerissen. Er trifft sich 
          mit dem Fremden, der ihm gut zuredet.
 
 "Wenn man Sachen, die einem anderen gehören, zerstört, 
          dann fügt man ihm einen Schaden zu. Vielleicht ist man aber auch 
          selbst schon einmal geschädigt und betrogen worden. Dann ergibt 
          sich die Frage, was besser ist: Soll man andere betrügen, weil 
          man selbst betrogen worden ist? Oder soll man standhaft bleiben und 
          die andere Wange auch noch hinhalten, weil man in diesem korrupten System 
          vor sich selbst bestehen will? Und dann ist da noch die Frage, wie wertvoll 
          die Sachen eigentlich sind, die man zerstört. Unser ganzes System 
          beruht doch darauf, daß wir Abfall produzieren und die Umwelt 
          verschmutzen. Eine unglaubliche Verschwendung! Diese Orgeln, die keiner 
          haben will, sind davon nur ein ganz, ganz kleiner Teil. Wir haben uns 
          einfach schon daran gewöhnt, damit zu leben. Alles, was wir nicht 
          brauchen, wird vernichtet und verbrannt. Und warum? Weil zu viel produziert 
          wird. Oder das Falsche. Einfach, weil schlecht geplant wird. Und warum 
          solltest ausgerechnet du die Verantwortung für diese Wahnsinnsfehler 
          haben?" (...)"Wer ist denn schon die Versicherungsgesellschaft? 
          Das sind wir alle. So eine Versicherung ist doch letztlich eine Kasse, 
          in die wir alle eingezahlt haben, um uns vor Unglücksfällen 
          zu sichern. Dein Lager ist ein solcher Unglücksfall. Es ist dein 
          Recht, aus einem Projekt herauszukommen, das nie das deinige war, zu 
          dem du gezwungen wurdest und das du
" (...) "Eine Versicherungsgesellschaft 
          - dahinter ein System, das sich überlebt hatte - sollte zur Finanzierung 
          seiner Verwandlung beitragen. Er selbst hatte dazu beigetragen, diese 
          Versicherungsgesellschaft und dieses System zu finanzieren."
 
 Und schließlich drängt seine Frau ihn, eine Entscheidung 
          zu treffen. Sie drängte ihn, das Risiko einzugehen und übernahm 
          damit einen Teil der Verantwortung. Erleichterte die ganze Sache, wenn 
          es eines Tages so weit war. Übernahm ihren Teil der Schuld, vielleicht 
          weil sie erkannte, daß er die Schuld nicht allein tragen konnte. 
          Und schließlich sah er eine Chance in dieser Möglichkeit. 
          " Das war die Möglichkeit zur Veränderung. Die Möglichkeit, 
          aus der Falle herauszukommen, in die er gegangen war."
 
 Er war gefangen, fühlte sich unfähig zu handeln. Ein Gefühl, 
          daß er schon seit ein paar Tagen hatte, vielleicht auch schon 
          länger. So, als ob alles zusammenstürzen würde und niemand 
          mehr da wäre. Keiner, der ihm in seiner Trostlosigkeit hätte 
          helfen können. Genauso war es damals bei seiner Scheidung gewesen. 
          Er war wie gelähmt und wußte nicht, was er tun sollte.
 
 Aber alles ging schief. Er fuhr mit seiner Familie in den Urlaub und 
          schon in der ersten Nacht brannte das Lagerhaus ab. Aber dabei kamen 
          drei Menschen zu Tode. Und damit fingen die Sorgen von Niels Møller 
          erst richtig an. "Alles wirkte sehr unwirklich, wie eine Kulisse. 
          Er hatte den Überblick über sein Leben verloren und konnte 
          sich nicht vorstellen, wie er ihn jemals wiedergewinnen könnte. 
          Dachte, wie sein Leben sich wohl entwickelt hätte, wenn auch nur 
          ein kleines Teilchen radikal anders in seiner Kindheit gewesen wäre." 
          Und nun wird das Buch zu einem Exkurs über Schuld und Verantwortung. 
          Über die Frage, wer trägt die Schuld an einer Situation. Das 
          System, die Gesellschaft oder der Einzelne. Bodelsen schrieb dazu: "Mir 
          sind Romane ein Greuel, in denen die Schuld des Mörders auf die 
          Gesellschaft, das System oder was auch immer, jedenfalls etwas Abstraktes, 
          abgewälzt wird. Der Mensch trägt seine Verantwortung, und 
          wenn man keinen Gott im Himmel hat, dann ist man ganz schlicht sich 
          selbst verantwortlich. Eine unglückliche Kindheit ist keine Entschuldigung, 
          nicht einmal eine echte Erklärung. Wenn man die Schuld mit irgend 
          etwas teilen will, muß es etwas Konkretes sein; entweder ein anderer 
          Mensch oder irgendwelche Leute. Ich suche nach jemandem, mit dem ich 
          meine Schuld teilen kann."
 Ein Mensch allein hat nie die ganze Schuld, sie kann geteilt werden; 
          wenn das nicht so wäre, könnte sie nicht ertragen werden. 
          Die Frage ist nur: Wie viele von uns teilen sich darin?
 
 Und im Buch "Borte Borte": "Ich glaube, es tut einem 
          nur gut, für die Folgen seiner Handlungen einzustehen. Heutzutage 
          gibt jeder sofort der Gesellschaft oder dem System die Verantwortung. 
          Ich ziehe Menschen vor, die sagen: Das war mein Entschluß. Ich 
          bin dafür verantwortlich. Wenn es gut gegangen wäre, hätte 
          ich natürlich auch gern den Verdienst eingestrichen." (...) 
          "Ich ließ mich aber überzeugen. Ich glaube an das System. 
          Mit all seinen Risiken und Chancen." (...) Niels wollte sich ihm 
          gegenüber nicht verantwortlich zeigen. Also musste er dafür 
          einen anderen finden. Und konnte das ein anderer sein als er selbst? 
          "Nur einer ist schuldig", sagte er. "Der, der alle Entschuldigungen 
          hätte durchschauen können und dennoch ja sagt." (...) 
          "Und wenn wir jetzt schon über Verantwortung reden, wo fängt 
          das an, wo hört es auf?" "Das fängt mit einer Gesellschaft 
          an, die mehr produziert als sie verbrauchen kann. Eine Gesellschaft, 
          ein System, das durch seine eigenen Fehlplanungen stranguliert wird 
          und das nicht weiterkommt, ohne seinen eigenen Abfall laufend zu vernichten. 
          Dann kommt es eben so weit, daß man das Wegwerfen systematisch 
          betreiben muß, nicht wahr? Sowohl die Produkte als auch die Produktionsmittel. 
          Damit die Maschinerie weiterläuft und alle glücklich und zufrieden 
          sein können. Manchmal auch Ideen, Moral, die weggeworfen werden
 
          Haltungen. Ja, sogar Menschen, überflüssige Arbeitskraft. 
          (
) Wir beide halten die Maschinerie nicht in Gang. Du, Møller 
          möchtest die Verantwortung genau zuordnen. Sie liegt genau da: 
          im System."
 "Ich stimme nicht mit dir überein. Die Verantwortung beginnt 
          und endet bei dir und bei mir." Oder um Schillers "Wallenstein" 
          zu zitieren: "Wär's möglich? Könnt' ich nicht mehr, 
          wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt? Ich müßte 
          die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht. Beim großen Gott des 
          Himmels! Es war nicht mein Ernst, beschloßne Sache war es nie. 
          In dem Gedanken bloß gefiel ich mir; Die Freiheit reizte mich 
          und das Vermögen."
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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      | Recht und Ordnung - Profis und Amateure "Profis 
          und Amateure" von Anders Bodelsen
Es ist sehr erfreulich, daß der dänische 
          Kriminalroman sein Standbein in den letzten Jahren gefunden hat. Daß 
          er sich als etwas anderes als eine Nachahmung von fremden, besonders 
          den angelsächsischen Traditionen, konsolidiert hat und sich auch 
          als charakteristische Erscheinung der zeitgenössischen dänischen 
          literarischen Landschaft darstellt.
 Es gibt viele Gründe für diese stufenweise aber doch ganz 
          klare Entwicklung. Wir können bemerken, daß der Kriminalroman 
          jetzt auch offiziell in Dänemark als künstlerisches Mittel 
          des Ausdruckes sehr ernst genommen wird. Wir können auch betonen, 
          daß der Kriminalroman, insbesondere in den sechziger und siebziger 
          Jahren, aus dem Grund aufblühte, da er ein ausgezeichneter Träger 
          für das pointierte Aufzeigen der globalen, historischen und sozialen 
          Veränderungen war, denen das kleine Dänemark unterworfen war 
          und in den fünfziger und sechziger Jahre auch Teil davon gewesen 
          war. Oder um es in mehr literarischen Begriffe umzusetzen: Es zieht 
          eine Art und Weise des Schreibens nach sich, die bis dahin nur durch 
          eine kleine Anzahl von Autoren ausgeübt worden war, jetzt aber 
          offenbar attraktiver für andere geworden und aufgegriffen wird. 
          Nun gibt es einen neuen frischen Markt für diese Art des Romans 
          und die Kriminalromanliteratur ist von der Kälte des Zeitungskioskes, 
          der Trivialliteratur, in die Wärme und in den Komfort der Buchhandlungen 
          gekommen.
 
 Die Essaysammlung "On the contrary" von 1961, der amerikanischen 
          Schriftstellerin Mary McCarthy, die 1966 ins Dänische übersetzt 
          wurde, war für die dänischen Neurealisten, wie Anders Bodelsen, 
          Henrik Stangerup, Chr. Kampmann, geradezu eine Programmerklärung. 
          Es handelt sich um künstlerische Prosa, bei der das empirische 
          Element eine entscheidende Rolle spielt. Der neurealistische Verfasser 
          soll erkennbare Situationen und Tatsachen erkennbar beschreiben. Dadurch 
          kann der Leser sich selbst und seine Umwelt im Roman wiedererkennen. 
          Dieser sozialpsychologische Realismus versucht, Zusammenhänge zwischen 
          sozialen Konventionen und psychischem aufzudecken. Der Psychologie gilt 
          das Hauptinteresse der Neurealisten: Warum reagiert ein Mensch in einer 
          bestimmten Situation auf eine bestimmte Weise? Die Romane dieser Zeit, 
          die im bürgerlichen Umfeld spielen, wollen die bürgerliche 
          Gesellschaft, zu deren System sie sich grundsätzlich bekennen, 
          kritisch analysieren. Diese Gegenwartsschilderungen beruhen oft auf 
          akribischer Quellenarbeit, daneben haben die meisten Verfasser auch 
          journalistische Erfahrungen gesammelt - viele Romane stehen deshalb 
          dem Dokumentarismus recht nahe.
 
 Im Mittelpunkt des Interesses steht bei Bodelsen allerdings nicht - 
          wie im typischen Kriminalroman - das Verbrechen selbst und seine Aufklärung 
          von Motiv und Ursache der Tat, wie bei den sozialistischen Kriminalromanen 
          Schwedens (Sjöwall/Wahlöö), er beschreibt vielmehr Reaktion 
          und Verhalten eines Täters, der ein Verbrechen begangen hat.
 
 Anschaulich kann man dies in der Kurzgeschichtensammlung "Profis 
          und Amateure" 1973 in Dänemark unter dem Titel "Lov & 
          orden" erschienen, nachvollziehen. In den neun Kurzgeschichten 
          werden sogenannte Normalbürger zu Tätern und gleichzeitig 
          aber auch zu Opfern. Ob es sich um einen Bankdirektor handelt, der verzweifelt 
          versucht einen Fehleinkauf, einen teuren Mercedes, loszuwerden, um die 
          Versicherung zu kassieren oder um einen einfachen Bankangestellten, 
          der dafür sorgt, daß er an seinem Urlaubsort endlich einmal 
          ruhig schlafen kann. Das sind harmlose "Allerweltsvergehen" 
          aber auch von Mord und Totschlag erzählt er in diesen Kurzgeschichten. 
          Ob es ein Giftmord mit Pilzen ist oder eine rätselhafte Geschichte 
          mit zwei identischen Zimmern. In sechs der neun Geschichten muß 
          der Kriminalassistent Brun die Ermittlungen aufnehmen. Und immer knackt 
          er die rätselhaften Geschichten in Sherlock Holmes Manier. Man 
          begegnet vielen Personen aus seinen Romanen wieder und vieles, welches 
          hier kurz skizziert wird, wird später zu einem Roman. Simonsen, 
          ein Bankangestellter aus "Geld zum zweiten Frühstück", 
          der die Konsequenzen seiner ersten offensichtlich ungesetzlichen Tat 
          seines Lebens nicht überblicken kann. Aber er hat gehandelt. Und 
          auch in der letzten Kurzgeschichte hat er noch einen Auftritt. Inzwischen 
          zum Erpresser geworden, wird er nun zum Mörder. Auch der Bankdirektor, 
          der in einer Geschichte versucht, seinen ungeliebten Wagen loszuwerden, 
          haben wir schon im Roman "Geld zum zweiten Frühstück", 
          kennengelernt. Dieser Versuch verändert sein Leben. Er lebt zuallererst 
          für den vollendeten kriminellen Plan, mit Hilfe dessen er sich 
          seines Wagens entledigen wollte, auf den er hereingefallen war. Das 
          eventuell moralisch verwerfliche an diesem Plan trat dabei völlig 
          in den Hintergrund; wichtig war allein der Plan und seine Erfüllung. 
          Und Kriminalassistent und spätere Kommissar Brun, der versteht, 
          daß es tatsächlich Menschen gibt, die sich unzufrieden fühlen; 
          und er begreift warum. Die Gesellschaft braucht die Unzufriedenheit. 
          Die kluge Gesellschaft aber versteht es, die unvermeidliche, unausweichliche 
          Unzufriedenheit in solche Bahnen zu lenken, daß eine drohende 
          Stagnation überwunden werden kann. Und das ist es ja gerade, was 
          die freie Gesellschaft von den Diktaturen in Süd und Ost unterscheidet: 
          Die freie Gesellschaft ist in stetiger Bewegung auf einem langen, langen 
          Weg zu neuen Zielen, neuen Herausforderungen, neuen Visionen.
 
 Die Bücher von Bodelsen aus den mittleren und späteren '70er 
          Jahren kehren zu den Charakteren, zu den Konflikten und zu der erzählenden 
          Form seiner früheren Arbeiten zurück; z.B. wird die Geschichte 
          von "Tænk på et tal" weiterentwickelt in "Pengene 
          og livet" 1976. Jedes Mal, wenn er ein neues Buch schreibt, möchte 
          er etwas schreiben, was komplett verschieden ist von dem, was er zuvor 
          geschrieben hat, sagte Anders Bodelsen einmal. Aber quer durch seine 
          gesammelten Werke gibt es eine Qualität, die andeutet, daß 
          er, mehr als viele andere Kriminalschriftsteller, aktuell, beobachtend 
          und eindrucksvoll den modernen Menschen als ein Produkt der modernen 
          Gesellschaft beschreibt, in der manchmal ein hohes Risiko besteht Irre 
          zu gehen und entfremdet zu werden.
 
 Zum Schluß noch einen Gedanken aus dem Roman "Straus": 
          Es besteht zweifellos ein Trend, den Kriminalroman sehr viel ernster 
          zu nehmen. (
) Er wollte über die Zukunft des Kriminalromans 
          schreiben und dabei die Frage erheben, ob man dem Genre damit nicht 
          etwas von seiner Lebendigkeit und Spontaneität nimmt, wenn man 
          es zu genau analysiert und nur als Vehikel für soziale, psychologische, 
          moralische oder sonstige Anliegen betrachtet. Bestand nicht das Risiko, 
          daß Kriminalschriftsteller durch all diese Analysen befangen und 
          nur widerspiegelnd werden könnten?
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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      |  Der Fall 
          Birthe - "Bevisets stilling" von Anders Bodelsen
"Bevisets stilling", zu deutsch Beweislage, 
          erschienen 1973, ist eine von Bodelsens kraftvollsten Arbeiten, eine 
          intensive und genaue Studie von Menschen im Stadium des Zerfalls, die 
          auch Opfer der Veränderungen werden.
 "Dieses Buch ist sehr nah an der Wirklichkeit und basiert auf einem 
          tatsächlichen Fall. Der Roman handelt über Lügen als 
          Werkzeug. Jemand beginnt mit dem Lügen und wird in einem Netz aus 
          Lügen verwickelt. Mit einem Chaos als Resultat", sagt Anders 
          Bodelsen.
 
 Zum Tatsachenhintergrund des Romans "Bevisets stilling" wurde 
          ein Fall, der 1969 in Dänemark für Schlagzeilen sorgte (Der 
          Fall Birthe). Hauptfigur ist der Taxifahrer Martin Bendix, der verdächtigt 
          wird, einen Lustmord begangen zu haben. Er ist unschuldig, verwickelt 
          sich aber im Laufe der polizeilichen Vernehmungen in Widersprüche, 
          weil er sich weigert, ein paar Unstimmigkeiten in seinem Fahrtenbuch 
          aufzuklären. Dieser naive Versuch, sich selbst in ein günstiges 
          Licht zu setzen, führt - zusammen mit Bendix' schlechtem Gedächtnis 
          - dazu, daß er verhaftet und des Verbrechens angeklagt wird. Während 
          Bendix 19 Tage in Untersuchungshaft verbringt, ist sein Verteidiger 
          Roth bestrebt, die polizeilichen Beweise, die nur auf Indizien beruhen, 
          zu entkräften. Als ihm dies gelingt, wird Bendix nach einer erneuten 
          richterlichen Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. Kurz darauf 
          wird die Anklage zurückgenommen, Bendix erhält Schadenersatz. 
          Trotzdem fühlt er sich nicht rehabilitiert, die starke psychische 
          Belastung und das Gerede der Leute in der Kleinstadt führen schließlich 
          dazu, daß seine Nerven nicht mehr mitspielen. Er greift zu Alkohol 
          und Beruhigungstabletten, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich 
          zusehends. Der Roman endet mit dem Tod von Bendix durch Herzversagen. 
          In seinem Roman "Straus" wird die Handlung folgendermaßen 
          beschrieben:
 (...)"Sehr gut. Soweit ich mich erinnere, war es ein Handlungsreisender, 
          oder?"
 "Ja. In der bewaldeten Umgebung eines Landstädtchens in Jütland 
          wird die Leiche eines ermordeten und vergewaltigten Mädchens gefunden. 
          Die Polizei findet heraus, daß der Reisende der letzte Mensch 
          war, der sie lebend gesehen hat. Er wird zur Vernehmung mitgenommen, 
          und nach zwölfstündigem Grillen klagt man ihn des Mordes an, 
          nur weil er sie als letzter gesehen hat. Das Mädchen war für 
          seinen lockeren Lebenswandel bekannt, und der Reisende erschwert sich 
          die Lage dadurch, daß er zunächst abstreitet, die Nacht mit 
          ihr verbracht zu haben. Aber die Sache ist, daß sie - die Polizei 
          - den falschen Mann erwischt haben. Er hat sie nicht getötet.
 
 (
) Was passiert: Der Mann wird zunächst angeklagt und für 
          drei Wochen in Haft genommen. Er kann kein Alibi beibringen, aber andererseits 
          hat die Polizei nicht mehr gegen ihn in der Hand, als daß er die 
          Nacht mit dem Mädchen verbracht hat. Ich möchte eine Geschichte 
          erzählen, die praktisch jedem zustoßen könnte - Ihnen 
          oder mir.
 (
) "Dann will es der Zufall, daß der Mann an einen 
          jungen Anwalt gerät, der sich von dem Fall viel für sich selbst 
          verspricht. Nach drei Wochen muß die Polizei ihn wieder laufen 
          lassen, aber die Anklage wird nicht zurückgenommen. Die Polizei 
          ermittelt weiter; sie ist überzeugt, daß sie trotz allem 
          den richtigen Mann erwischt hat. Aber nach drei weiteren Wochen müssen 
          sie die Anklage wegen mangelnder Beweise zurücknehmen. Vielleicht 
          wäre das ja ein Titel - "Mangelnde Beweise".
 
 "Bevisets stilling" zeigt, wie der kleine Mann in Schwierigkeiten 
          gerät, weil er nicht weiß, wie er sich im System zu verhalten 
          hat. Durch seine arglosen Verteidigungsmanöver verstrickt sich 
          Bendix immer weiter in die Sache. J. Heese weist in seiner Analyse des 
          Romans nach, wie das Schachspiel im Roman auf symbolischer Ebene zeigt, 
          warum Bendix im polizeilichen Verhör unterliegt. Beim Schach verliert 
          Bendix, weil er nicht aggressiv genug ist und weil er die Regeln des 
          Spiels nicht durchschaut. Im Leben ist es genauso. Während ihm 
          beim Schach seine Tochter weiterhilft, ist es im Leben der Anwalt Roth, 
          der ihm das nötige Wissen vermittelt. Die Kritik, die im Roman 
          an Polizei, Gefängniswesen und Rechtssystem geäußert 
          wird, wird in erster Linie von Roth vorgebracht: "Natürlich 
          sagt das Gesetz, daß die Polizei Ihre Schuld beweisen muß. 
          Aber in der Praxis sind Sie es, der Sie Ihre Unschuld beweisen müssen." 
          Der Roman beschreibt die Mängel und die unmenschlichen Seiten eines 
          Rechtssystems und porträtiert gleichzeitig den kleinen Mann und 
          das kleinbürgerliche Dänemark im Jahr 1973 - ähnlich 
          wie es in den realistischen Werken der dreißiger Jahre geschehen 
          ist. Die Probleme werden hier jedoch auf konkrete Zustände in der 
          Gesellschaft zurückgeführt - im vorliegenden Fall auf die 
          Behandlung eines in Verdacht geratenen Individuums durch Polizei und 
          Rechtsstaat und auf die Unfähigkeit des ungewandten und letztlich 
          hilflosen Kleinbürgers, das Vorgehen dieser Instanzen zu durchschauen.
 
 Und somit ist "Bevisets stilling" ein gedankenprovozierender 
          Roman über das Rechtssystem, doch Dank seiner Kraft dient er auch 
          als robuster Sozialroman, der mit Wärme und Mitleid und von menschlichem 
          Verständnis erfüllt ist.
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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      |  "Rød 
          september" von Anders Bodelsen
Während "Mørklægning", 
          auf deutsch "Verdunkelung", über eine Periode in der 
          dänischen Geschichte handelt, die über sechzig Jahre her ist, 
          wendet sich "Rød september" mehr der Gegenwart zu, 
          den politischen Themen, die näher liegen: die Hitze des Kalten 
          Krieges, Stadtguerillas und Terrorismus. Der Roman ist gekennzeichnet 
          durch die gleiche Straffheit und Präzision, die auch charakteristisch 
          ist für "Mørklægning". Beide Romane erfordern 
          sorgfältiges Lesen und geben dem Leser zum Austausch eine große 
          Erfahrung.
 "Rød september" ist ein gutes Beispiel dafür wie 
          Genrestücke, in der Verkleidung von Thrillern, wirklich dazu in 
          der Lage sind, das Zeitalter "an der Gurgel" zu packen, eine 
          scharfsinnige Diagnose zu stellen und die Art und Weise aufzuzeigen, 
          wie wir heute leben, während der "intellektuelle" Roman 
          sich, in einem egozentrischen Spiel mit Spiegelungen seiner selbst, 
          blockiert. "Rød september" ist ein überzeugendes 
          Stück Kunstfertigkeit, eine gründliche Kritik des Zeitalters, 
          ein glänzender Roman in jeder Beziehung. Besser als jedes andere 
          Genre reflektiert der Kriminalroman die schwerwiegenden politischen 
          Änderungen der Neuzeit; er gibt einen Fingerzeig auf eine Bewegung, 
          weg von den Utopien hin zu festgelegten Positionen. Anders Bodelsen 
          schrieb einen Thriller zu einer Zeit, als der Realismus anfing im Genre 
          des Kriminalromans Wurzeln zu schlagen. Er hat es darauf angelegt, es 
          bei einem einmaligen Ereignis zu belassen. Aber er fuhr fort, diese 
          Art Romane zu schreiben, und trug damit wirksam dazu bei, das Genre 
          zu entwickeln und zu verfeinern und hat maßgeblich mitgeholfen, 
          es näher an die "gewöhnliche" Literatur heran zu 
          bringen.
 
 "Der Thriller heutzutage ist ohne irgendeine wohldefinierte Form 
          und die Distanz zwischen der Kriminalliteratur und der anderen Literatur 
          besteht eigentlich nicht mehr länger," sagt Anders Bodelsen.
 
 "Rød september", Bodelsens Roman von 1991, ist ganz 
          offenbar eine Rückkehr zu den Themen seiner früheren Arbeiten 
          und eine Variation eines typischen Highsmith Plots. Zwei Brüder, 
          Jens und Søren, ihren Konflikt und doch auch über ihr Gefühl 
          der Loyalität zueinander und zu ihrem Umfeld, der Welt und ihrer 
          Ideale. Der duale innere Charakter ist in zwei Personen aufgespalten, 
          ein "nach außen schauender" Janus Kopf, der auf die 
          Schultern der zwei Brüder, Jens und Søren, platziert ist, 
          die sich in ihren direkten Veranlagungen, existentiell und politisch, 
          in ihren eigenen Richtungen entwickelt haben. Sie haben sich als Kontraste 
          entwickelt, nicht nur direkt miteinander, sondern auch in eine solche 
          Richtung, daß sie eine dialektische Diskussion über das heutige 
          Dänemark darstellen.
 
 Eines Tages fängt Jens, ein vor kurzem geschiedener Staatsbeamte, 
          einen flüchtigen Eindruck seines Bruders Søren in einem 
          Kopenhagener Vorort auf. Nicht das irgendetwas daran wirklich merkwürdig 
          sein könnte. Kopenhagen ist immer noch eine kleine Hauptstadt. 
          Doch die teuflische Energie in diesem Fall liegt in der Tatsache, daß 
          Søren vor fünf Jahren für tot erklärt wurde. Er 
          starb in einer Lawine in Österreich, und keine andere als die Frau 
          von Søren, Vera, identifizierte seine Leiche.
  Politischer 
          Nebel
Diese faszinierende Eröffnung, wenn wir nicht 
          sicher sein können, ob Jens phantasiert oder Vera lügt, entwickelt 
          sich zu einem fesselnden politischen Plot. In seiner Jugend war Søren 
          fanatisch links, später wurde er Journalist bei Jyllands-Posten, 
          Dänemarks konservativster Zeitung. Oder etwa doch nicht? Heißt 
          das, er, wie so viele andere linke Radikale der Sechziger schwenkten 
          um zu den rechten Ansichten, denn es war diese Ausrichtung, in der sie 
          ihre zukünftigen Karrieren, mit alleinstehenden Häusern, Volvos 
          und Haushunde sahen. Das war zweifellos das, was Jens tat. Und da er 
          ein beachtlicher Wirtschaftswissenschaftler mit sozial-demokratischen 
          Ansichten ist, ist es wie ein Dorn in seinem Fleisch, daß seine 
          Tochter Laura zu einem Yuppie und hingebungsvollen Anhänger des 
          Außenministers der Liberalen Partei Dänemarks aufgewachsen 
          ist. Was ist schief gelaufen die ganzen Jahre über, wurde zu einer 
          existenziellen Frage für Jens. Nicht nur wegen seines eigenen deprimierenden 
          Lebens im alten Haus seiner Eltern, sondern auch, weil sich die Gegenwart 
          so radikal geändert hat. Der dänische Sänger Carl Brisson, 
          der gewöhnlich ein Lied über das kleine Kopenhagen singt, 
          in dem es an nichts mangelt, und John Lennons utopisches Kredo, sind 
          Leitmotive, die ständig in dem Buch wiederkehren. Als Søren 
          schließlich wieder auf seinen Bruder in Kopenhagen trifft, der 
          ernstlich verwundet wurde, bei einer abschließenden Mission im 
          Namen seiner unterstützenden Freunde in der PLO, nimmt der Plot 
          eine beschauliche Wendung und kehrt zu einem alten Thema von Bodelsen 
          zurück: Die Geborgenheit der Kindheit, die verfliegt, während 
          die zwei Brüder jeder seines Weges geht. Einer betritt die goldene 
          Prachtstraße des Kompromisses, der andere den romantischen Weg 
          der politischen Verpflichtung. Es verrät nicht zu viel über 
          die Ansichten in diesem Roman, wenn man sagt, daß eine Enttäuschung 
          sie beide erwartet.
 Sie sind nicht mehr jung, und die Welt, die einmal so bequem in Ost 
          und in West geteilt schien, ist in einen moralischen Nebel und in einen 
          politischen Dunst gewandelt. Søren und Vera haften immer noch 
          aneinander in einer Art "Liebe, die über den Tod hinaus andauert". 
          Aber Jens, der immer schon in Vera verliebt gewesen ist, muß feststellen, 
          daß eine Prinzessin nur in einem "Mittelklassenhaus" 
          als Traum beibehalten werden kann. Søren bewegt sich in Richtung 
          zu einem unsicheren Schicksal als Krüppel in Berlin, während 
          Jens in seinem kleinen Leben in einen tiefen Biedermeierschlaf fällt.
 
 Man kann kritisieren, daß "Rød september" zum 
          Ende hin seine Richtung ändert und von einem politisch engagierten 
          Thriller zu einem melancholischen Kammerspiel für drei Leute mit 
          einer verhätschelten Erziehung wird. Man kann ihn auch als Abrechnung 
          mit dem Kommunismus lesen, mit Søren als Figur, der zurückkommt, 
          um mit dem Kommunismus aufzuräumen. Auch so kann die Symbolik in 
          diesem bewegenden und ziemlich traurigen Roman erfahren werden.
 
 "Søren ist im wesentlichen immer noch ein Kommunist der 
          außerdem noch zu einem Fundamentalismus konvertiert ist. Er distanziert 
          sich von den Freunden seiner Jugend und lässt sie glauben fanatisch 
          zu sein. Er selbst aber ist nicht fanatisch. Er sieht Gewalt als etwas, 
          die nur ausgeübt werden darf, wenn sie gerechtfertigt ist, und 
          lehnt Gewalt um der Gewalt willen ab".
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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      |  "Veränderung 
          - Geld zum zweiten Frühstück" von Anders Bodelsen
Ein Autor, der seit den sechziger Jahre in Abständen 
          ernsthafte Kriminalromane geschrieben und die moderne dänische 
          Prosa auf den Bücherregalen repräsentiert, ist Anders Bodelsen. 
          Er selbst ist nicht besonders glücklich, als Kriminalautor klassifiziert 
          zu werden. Aber Bodelsen ist mehr als jeder andere dänische Autor 
          in der Art und im Inhalt durch den moralischen und psychologischen Thriller 
          beeinflusst worden.
 Bevor Anders Bodelsen 1968 zwei seiner erfolgreichsten Bücher veröffentlichte, 
          hatte er bereits zwei Kurzgeschichtensammlungen und zwei Romane veröffentlicht. 
          Der Kriminalroman genoß zu dieser Zeit keine besonders hohe Achtung 
          als Literaturgattung. Noch bevor er "Tænk på et tal" 
          veröffentlichte, verteidigte Bodelsen sein Buch. Er befürchtete, 
          dass er beschuldigt wird, realitätsferne Unterhaltung darzubieten 
          und den Verkaufsspekulationen nachzugeben. "Aber", so schrieb 
          Anders Bodelsen einmal, "ein Thriller, ein Kriminalroman, ist nicht 
          etwas, was man der "Zweiten Klasse-Literatur" zuordnen kann. 
          Sie hat, zugegebenermaßen zu unterhalten, und die äußerliche 
          Handlung muß mit einem aufregenden Tempo vorangetrieben werden, 
          und das Schreiben muß unerwartet und lebhaft sein". Und es 
          muß gesagt werden, das Buch kam und siegte, wodurch Anders Bodelsen 
          in großem Maße ein Mitwirkender in der Entwicklung des Kriminalromans 
          wurde und mithalf, ihn näher an die anderen Formen der erzählenden 
          Romanliteratur zu bringen, der Literatur zugehörig. Nun legte er 
          also seine ersten Kriminalromane vor, die Thriller "Tænk 
          på et tal" und "Hændeligt uheld". Der Kriminalroman 
          "Tænk på et tal" (dtsch. "Geld zum zweiten 
          Frühstück") bedeutete den Durchbruch bei den Lesern und 
          überzeugte viele Rezensenten und sie verglichen ihn mit der amerikanischen 
          Autorin Patricia Highsmith. Dies ist vermutlich mit der Tatsache verbunden, 
          daß er häufig in seiner Arbeit als Filmrezensent mit Verehrung 
          über Alfred Hitchcock schrieb. Ein Regisseur, der nicht nur einen 
          Roman von Highsmith verfilmte, sondern dessen gesamte Auswahl an psychologischer 
          Spannung eine geistige Verwandtschaft mit ihr zeigt, bis hin zu thematischen 
          und ästhetischen Details.
 
 "Leute dachten, daß ich von Patricia Highsmith beeinflusst 
          war, als ich es schrieb", sagte Anders Bodelsen einmal in einem 
          Interview. "Aber tatsächlich habe ich sie bis dahin nicht 
          gelesen. Andererseits bedeutet Georges Simenon viel für mich, als 
          Quelle der Inspiration; nicht die Maigret Romane, jedoch seine anderen 
          Werke, hauptsächlich der Roman "L'homme qui regardait passer 
          les Trains" (1938). Ich bin mir bewusst, daß meine zugrundeliegende 
          Handlung auf keinen Fall einzigartig ist. Es gibt einige Bücher 
          über jemand, der entdeckt, daß ein Verbrechen geplant wird, 
          und es für seine Zwecke an sich reißt."
 
 Was er mit "Tænk på et tal" erreichen wollte, 
          und er war sehr erfolgreich in seiner Absicht, war, eine Geschichte 
          zu erzählen über einen Mann, der, wie er es nannte, ohne Sinn 
          für Solidarität war; ein Mann, der aus dem System und von 
          den Idealen ausbricht, die von ihm erwartet werden, aber dem es selbst 
          an eigenen Ideen oder an System fehlt. Wie in mehreren der folgenden 
          Bücher, ist "Tænk på et tal" die Geschichte 
          von jemandem, der, wegen einer Reihe zufälliger Übereinstimmungen 
          in einer Situation, gleichzeitig zum Täter und Opfer wird - ein 
          Opfer des Zufalls.
 
 Wo andere Autoren, um 1968, unter der Beeinflussung der Jugend- und 
          Studentenrevolution, politische Literatur schrieben, nimmt Bodelsen 
          allmählich einen skeptischen Abstand zu den zeitge-nössischen 
          rebellischen Tendenzen ein. Es scheint ihm, daß bloße Sozialkritik 
          ein wenig zu einfach ist, wenn sie nicht Hand in Hand mit einer Diskussion 
          über moralische Fragen einhergeht: einerseits sollte der Wohlfahrtsstaat 
          der Einzelperson nicht die Würde und Freiheit berauben; aber andererseits 
          besteht die Freiheit für die Einzelpersonen hauptsächlich 
          aus der Freiheit, um zwischen Richtig und Falsch zu wählen und 
          sich seiner Verantwortung bewusst zu sein, einschließlich der 
          Verantwortlichkeit, die Freiheit für andere zu schützen.
 
 "Ein Verbrecher ist ein Einzelgänger und Egoist, im extremen 
          Fall ein Egomane. Ein Verbrecher, allgemein gesprochen, kann jedermann 
          sein, da wir alle Gefahr laufen zu stürzen, Opfer des Zufalls und 
          der Gelegenheit, nach dem Motto: Gelegenheit macht Diebe. Ich habe mir 
          folgende Frage gestellt: Angenommen, ich habe die Gelegenheit eine Million 
          Kronen zu bekommen, auf Kosten des Lebens eines mir völlig unbekannten 
          Chinesen, würde ich sie nehmen? Ich würde zweifellos niemanden 
          trauen, der diese Frage mit nein beantwortet".
 
 Das Leben ist eine bemerkenswerte Quelle der Inspiration, und das dies 
          als Magnet dient, für die Ideen einer Handlung, ist etwas, was 
          wir nachvollziehen können. Zum Beispiel wenn Bodelsen zurückschaut 
          auf eine Episode, die dem Erscheinen von "Tænk på et 
          tal" vorausging:
 
 "Es war auf der Bank, als ich dabei war, Geld abzuheben. Als ich 
          am Schalter an der Reihe war, riss der Kassierer das erste Blatt des 
          Formulars ab, sah den Durchschlag, und erklärte, daß ich 
          ein neues ausfüllen müsste, da ein Kunde vor mir meines als 
          Unterlage benutzt hatte. Was dieser Kunde geschrieben hatte, ging bis 
          zu meiner Kopie durch. Ich füllte ein neues Formular aus. Und ich 
          hatte die Idee".
 
 In dem Roman beschäftigt sich Bodelsen mit den gewöhnlichen 
          Personen der Mittelklasse, die kriminell werden. Nach Ansicht des Autors 
          ist das Schlüsselwort: Identifikation, im Sinne von: Könnte 
          ich es gewesen sein? Wie würdest du selbst es anstellen?
 
 Und so hat er es angestellt:
 
 Es war einmal ein Weihnachtsmann, der eine Bank ausrauben wollte. Er 
          wurde bei seinem Vorhaben gestört, nachdem er etwas auf ein Stück 
          Papier geschrieben hatte, das nur der Bankkassierer zu sehen bekommen 
          sollte. Er nahm den Zettel mit. Aber er übersah, daß er beim 
          Schreiben ein Formular mit karbonisierter Rückseite als Unterlage 
          benutzt hatte. Nun räumte zufällig an diesem Abend der Bankkassierer 
          an dem Tisch auf, an dem der Weihnachtsmann gesessen und geschrieben 
          hatte. Später beobachtete der Kassierer alles, was in und um die 
          Bank herum passierte. Er entdeckte ein Motorrad mit schwedischem Nummernschild, 
          und er sah einen Weihnachtsmann. Allmählich festigte sich seine 
          Annahme, daß dies ein falscher Weihnachtsmann sei. Und eines Tages 
          folgte er dem Motorrad und begegnete auf dem Weg zum Campingplatz einem 
          Auto. Er war ziemlich sicher, zwei Personen in dem Auto gesehen zu haben. 
          Und weißt du, was sich der Kassierer in den letzten Tagen gedacht 
          hat? Er hat sich gedacht, daß die zweite Person wohl ein hübsches 
          junges Mädchen gewesen war. Und er meint, daß man sich strafbar 
          macht, wenn man in Autos mit falschen Weihnachtsmännern fährt, 
          die versuchen, Banken auszurauben. Und er glaubt, daß dasselbe 
          Mädchen am Steuer saß, als der Weihnachtsmann es in einer 
          anderen Bank versuchte und dann kalte Füße bekam und floh. 
          Über all dies hat der Kassierer sehr viel nachgedacht. Und dann 
          dachte der Kassierer, daß er von dem schönen Geld, das er 
          in seiner Kasse hatte, lieber etwas beiseite legen sollte, falls der 
          Weihnachtsmann wiederkommen würde. Und das tat er auch. Und der 
          Weihnachtsmann kam wieder, aber diesmal hatte er eine Sonnenbrille auf 
          und einen Filzhut, und alles was der Kassierer ihm auslieferte, waren 
          10 000 Kronen. Und der Bankkassierer zweigte 178 000 Kronen für 
          sich ab.
 
 Aber damit fängt das Verhängnis an. Nachdem alles gut zu funktionieren 
          schien, kamen nun die Schwierigkeiten. Der geprellte Bankräuber 
          meldet sich und fordert seinen Anteil. Verfolgt ihn, dringt in seine 
          Wohnung ein. Die Polizei verhört ihn. Ständig hat der Kassierer 
          das Gefühl der Unsicherheit: "das Gefühl einer offenen 
          Tür in seinem Rücken nahm zu".
 
 Aber da ist es wieder, das Gefühl von Veränderung, die undeutliche 
          und animierende Zukunftsvision einer Veränderung, die ihm schon 
          während seiner ganzen Jugend nebelhaft vorgeschwebt, sich aber 
          im Laufe der Jahre weiter und weiter entfernt hatte. Veränderung. 
          Die Welt erschien ihm offen und voller Möglichkeiten, obwohl er 
          nichts weiter vorhatte - oder vielleicht gerade deswegen. Ein Wort begann 
          sich in ihm zu formen: Veränderung. Das Wort bekam einen magischen 
          Klang.
 
 Er schaffte es, zusammen mit der Freundin des Bankräubers, die 
          sich auf seine Seite schlägt, das Geld in Sicherheit zu bringen. 
          Bis, ja bis, der Bankräuber aus dem Gefängnis entlassen wird. 
          Und es zum Zusammentreffen kommt: "Er dachte daran, daß ja 
          ursprünglich er der Schlauere gewesen war. Er war schlauer gewesen 
          als alle anderen. Bis jetzt war alles gut gegangen, konnte es nicht 
          noch einmal gut gehen? Aber ihm fiel nichts ein, wie er an den anderen 
          herankommen sollte. Der Mann hatte den Revolver immer noch in der Hand 
          und würde ihn rücksichtslos benutzen, daran war kein Zweifel".
 
 Zum Schluß gibt es einen Toten. Einer ist zum Mörder geworden, 
          einer zum Erpresser und die dritte Person setzt sich ab. Alles was die 
          Veränderung für den Kassierer brachte, war eine unendliche 
          Müdigkeit, eine Leere die zur Depression wurde. Ein Gefühl 
          der Sinnlosigkeit stellte sich ein. Sein ursprüngliches Mitteklasseleben 
          liegt in Trümmern und er muß nun alles daran setzen, seinen 
          Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das Ende aber ist offen.
 
 Interessant an diesem Roman ist auch, daß Bodelsen sich mit diesem 
          Kriminalroman auf einen unvollendeten Roman von Charles Dickens bezieht: 
          "Ich erinnere mich innig daran, daß mein Vater "The 
          Mystery of Edwin Drood" (1870) laut vorlas, wie es seine Gewohnheit 
          war. Der Roman wäre wahrscheinlich nie so berühmt geworden, 
          wie er schlußendlich wurde, wenn es Dickens gelungen wäre, 
          ihn vor seinem Tod zu beenden. Dickens hatte gewisse Probleme mit diesem 
          Roman und "The Mystery of Edwin Drood" gehört zu den 
          größten Rätseln in diesem Genre und das Buch an sich 
          ist ein Rätsel, das niemals gelöst wird.
 
 Das in seinem Gesamtwerk zu beobachtende wachsende Interesse Dickens' 
          an der Psychologie des Verbrechens intensivierte sich in den späteren 
          Jahren unter dem Einfluß seines Freundes Wilkie Collins, des führenden 
          zeitgenössischen "Thriller"-Autors. In seinen letzten 
          Romanen rückte Dickens düstere Geheimnisse und ihre Aufdeckung 
          immer mehr in den Mittelpunkt, widmete er sich immer dezidierter der 
          Schilderung psychisch labiler Charaktere, die verbrecherische Handlungen 
          fähig sind. Mit dem unenthüllten Geheimnis haben sich seither 
          Generationen von Lesern beschäftigt. Wenn "The Mystery of 
          Edwin Drood" als rätselhafte Detektivgeschichte aufgefasst 
          werden sollte, könnte es ein wenig überraschend erscheinen, 
          daß es Anders Bodelsen in diesem Umfang angespornt haben soll. 
          Wenn es eine Sache gibt, für die Bodelsen nicht berühmt geworden 
          ist, so ist es die als Autor für das, was wir klassische "Whodunits" 
          nennen könnten.
 
 Und so wie "The Mystery of Edwin Drood" ein offenes Ende hat, 
          hat auch "Tænk på et tal" ein Ende, welches viele 
          Möglichkeiten offen läßt und Spielraum für die 
          Phantasie der Leser schafft.
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh/ Esslingen
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