|  "Doktor Mabuses neues Testament" Kriminalroman von Per Olov Enquist und Anders Ehnmark
"Spielregeln einer Demokratie"
 Ein Toter wird aus dem Swimmingpool eines Hotels geborgen.  Der Tote war vollständig bekleidet, hatte jedoch keine Schuhe an. Sein Name war  Jakob B. Kraus. Sein Beruf: Kriminalinspektor bei der Mordkommission. Sein Tod  erregte eine gewisse Aufmerksamkeit, weil nur zwölf Tage zuvor in demselben  Pool jemand anders durch Ertrinken zu Tode gekommen war.  In diesem Buch wird über die letzten zwölf  Tage und den Tod von Kriminalinspektor Kraus berichtet.
 
 Kraus, der seine Frau durch Selbstmord verloren  hatte, zweifelt am Leben. Er versucht, den Tod seiner Frau zu begreifen, verzweifelt darüber. Er  versucht die Zusammenhänge zu erkennen, in sie einzudringen. Dahinter zu  kommen, was sich unter der Oberfläche verbirgt. Wenn ihm dies gelingen wird,  würde alles ganz selbstverständlich werden. Kraus war zu der Auffassung  gelangt, dass das meiste im Leben verhüllt sei: dass man stets die Oberfläche  mit der Tiefe verwechsle. Was Oberfläche ist, kann Tiefe sein, und umgekehrt. Dieses  Suchen nach der Wahrheit, nach den Dingen hinter der Oberfläche, ist immer ein  Thema in den Romanen von Enquist. So auch die, aus den dokumentarischen Romanen  Enquists bekannten Strukturen der Recherche; hier wie dort bearbeitet ein  Untersucher/Erzähler ein Material, sucht nach Erkenntnis und Einsicht. Der  langsame Erkenntnisprozeß, der den beharrlich fragenden und suchenden Erzähler  von Verständnislosigkeit zum Verstehenwollen  und schließlich zur Einsicht führt. In jenen  Romanen bestimmen ein politisches Bewußtsein und eine rationale Logik die  Richtung der Untersuchung. Seine Romane kreisen um die Frage nach dem  unerklärlichen Guten und nach dem unerklärlichen Bösen. Enquist läßt seinen  Erzähler das Wesen des Menschlichen im Grenzbereich zwischen diesen beiden  finden.
 
 Enquist und Ehnmark zeichnen in diesem Buch ein  satirisches Bild von Schweden, von der schwedischen Gesellschaft. Sie  vergleichen Schweden mit dem Hotel, das überdimensioniert und weitab von jeder  Großstadt durch obskure Geldgeber gebaut wurde, nun fast verlassen daliegt und  an dessen Pool die Morde geschehen. Ein Bild von Schweden, das von Verfall und  Degeneration geprägt ist:
 
 
  "An der Fassade rankte sich der wilde Wein  immer höher. Etwa zehn Fenster waren erleuchtet, die übrigen dunkel, und in der  hereinbrechenden sanften Dämmerung machte dieser gigantische Palast einen  eigentümlichen traurigen Eindruck von Zerfall, der Kraus irgendwie bewegte. Es  war, als sähe er etwas, was er aus seinem eigenen Leben kannte, aus seiner  eigenen Wirklichkeit. Ein riesiger Luxuskreuzer, vollendet und verfallend,  sinnlos und vollkommen, rührend und dennoch mit einer paradoxen, verkommenden  Würde in die Dämmerung hineinsegelnd."
 Kraus fährt zu einem Abiturientenjubiläum in das  Hotel und dort gibt es den ersten Toden. Dante, ein Journalist, der dunkle  Andeutungen über eine große Geschichte macht. Den ganz großen Knüller, eine  große Story. Kraus wird zusammen mit seinem Kollegen Nygren an die Aufklärung  des Falles gesetzt. Und er kommt einer großen Verschwörung auf die Spur. Einem  modernen Mabuse.
 
 Über die ersten Mabuse Filme 1922 wurde damals  geschrieben: "Eine von Krieg und Revolution zusammengefegte,  zusammengetrampelte Menschheit rächt sich für die Jahre qualvollen Ernstes,  indem sie von Begierde und Genuß, von Genuß zu Begierde eilt. Ein ruhiger,  besonnener Mensch geht unangefochten durch den Taumel der anderen, ein Mensch,  der das recht um seiner selbst willen ehrt - eine lebendige Bürgschaft für die  Hoffnung, daß jenseits des Abgrunds schöneres Neuland liegen muß - wenn es nur  gelingt, die Brücke hinüber zu finden."
 
 Sie wurden als Wiedergabe einer Zeitsituation, einer  Lebenshaltung gesehen, die die instinktiv erahnte Bedrohung in einer Gestalt  personifiziert sehen wollte. Die Idee hinter den Büchern und Filmen von  Mabuse war, dass unterhalb der Organisation  des Staates er einen Staat für sich gegründet hat mit Gesetzen, die er allein  ausgab, mit Macht über Leben und Tod von Menschen. Und vor allem in den Filmen  von Lang sah man eine frühe Warnung vor dem Faschismus.
 
 "Eine völlig paranoide Vorstellungswelt. Als  wäre ich ein Monster, ein geisteskranker Faschist, der wie die Spinne im Netz  sitzt und die Demokratie bedroht. Ich war ungeheuerlich wütend auf ihn.  Schließlich leben wir nicht in den zwanziger Jahren."
 Kraus saß lange schweigend da.
 "Nein", sagte er schließlich. "Das  ist klar. Sechzig Jahre sind seitdem vergangen. Und weder Doktor Mabuse noch  sein Testament sehen heute noch genauso aus."
 
 Heutzutage sehen die Mabuses und ihre Ideen anders  aus. Andere Gedanken beherrschen die Mabuses unserer Zeit. "Der Gedanke  nämlich, dass, wenn die Demokratie eingeführt ist und demnach das Volk die  Macht hat, jede Einschränkung der Grundrechte zugleich eine Einschränkung der  Volksmacht bedeutet und daher eine Bedrohung der Demokratie darstellt. Daher  ist, rein theoretisch, die Meinungsfreiheit in der Demokratie nicht nur  scheinbar überflüssig, sondern vielleicht sogar eine Bedrohung der  Demokratie." Um die Demokratie zu schützen, muss man sie in gewissen  Notlagen aufheben, doch die Einschränkungen dürfen nie über das hinausgehen,  was im Hinblick auf das Ziel notwendig ist, das sie veranlasst hat. Der Staat,  die Staatsmacht, ist das wichtigste, ist die Grundlage. Der Widerstand gegen  Auswüchse dieses Staates, gegen Mißbrauch seiner Macht, dieser Widerstand ist  das Schreckbild. Bestrebungen, den Staat menschlicher, toleranter zu machen  müssen unterbunden werden. Den Staatsapparat gilt es zu schützen. Aber alles  innerhalb  der Gesetze, die der Staat ja  selber erläßt.
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Kommt einem dies nicht bekannt vor? Diese  Sicherheitsgesetze, Gesetze über das Datensammeln und -aufbewahrung,  Kontrollmöglichkeiten ohne Ende und alles zum Schutze der Demokratie? Auch wenn  dabei die Demokratie immer ein wenig mehr aufgehoben wird. Eine  Demokratisierung des Staates findet nicht mehr statt. Die Bürgerrechte und  -freiheiten werden immer mehr eingeschränkt. Bürokratie als Machtfaktor  und Wirtschaftsführer, die einen Staat im  Staat bilden.
 Es ist ein politischer Roman, der seine Botschaft  über das Mittel des satirischen Kriminalromans transportiert. Und dies mit  Hilfe einer sehr außergewöhnlichen Konstruktion sehr gekonnt macht und mit der  Lösung des Rätsels - wer war der Mörder - ebenfalls eine Überraschung bereit  hält.
 
 Und was vielleicht noch anzumerken ist: In diesem  Buch wird ein Professor der Kriminologie, Berater der obersten Polizeibehörde zitiert,  der in den letzten Jahren bekannt geworden ist als Schriftsteller, der selber  Kriminalromane schreibt: Leif. G.W. Persson.
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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