Dieses Buch erstaunt und verstört durch seine Radikalität. In fast  vierzig Jahren hat es nichts von seiner Kraft verloren und vermag zu  beeindrucken, obwohl wir uns in Deutschland dem Nationalsozialismus und seinen  Protagonisten inzwischen auch satirisch nähern können. Es ist gut, daß der  kleine Berliner Verlag Matthes & Seitz Carl-Henning Wijkmarks "Die  Jäger auf Karinhall" in der hervorragenden Neuübersetzung von Paul Berf  wieder auf den deutschsprachigen Markt gebracht hat.
          
          Der Thriller beginnt damit, daß sich der marathonlaufende und sexsüchtige norwegische  Theologiestudent Roar Trøgesen vom britischen MI6 anwerben läßt, um Hermann  Göring auszuspionieren, dem London eine Schlüsselrolle in der deutschen  Aufrüstung und Außenpolitik zuschreibt. Am Ende des Buches ist Göring  hochzufrieden: Seine Gegner sind tot oder gewarnt, und der Duce Benito  Mussolini bemüht sich zu ihm nach Karinhall, nachdem er mit Hitler in Berlin  den gemeinsamen Überfall auf das republikanische Spanien verabredet hatte.  Dazwischen liegen drei Tage Anfang August 1936, in denen Wijkmark die  Olympischen Sommerspiele in Berlin, den Beginn des Spanischen Bürgerkrieges,  den ersten Moskauer Schauprozeß und Görings traditionelle Jagdgesellschaft  stattfinden läßt. Die Jagdgesellschaft entwickelt sich schnell zu einer  atemberaubenden Orgie aus politischen Verhandlungen, Spionage und  Gegenspionage, Sabotage und allumfassender Illoyalität, gewalttätigem Sex (für  den der Hausherr 200 Huren aus dem KZ Sachsenhausen herankarren ließ), Mord und  Totschlag.
          
          
          Damit der deutsche Leser  die Wijkmarksche Ironie und sicher auch die mit großem Spaß beschriebenen  expliziten Sexszenen nicht mißverstehe, ist den "Jägern auf  Karinhall" ein Nachwort des schwedischen Schriftstellers Steve Sem-Sandberg  beigegeben. Dieser ist ganz fasziniert von dem literarisierten Göring, den  Wijkmark als hochintelligenten, gut organisierten NS-Multifunktionär zeigt, der  in seinem bekannt imperialen Lebensstil schwelgt. Sandberg schlägt vor, den  Thriller als Parabel über das symbiotische Verhältnis des Bösen zum Exzeß zu lesen. Das individuelle Böse also,  dieser beliebte Topos auch von Serienkiller-Krimis, das faktisch aus sich  selbst heraus existiert und auch nicht erklärt werden muß. Glücklicherweise ist  das Buch klüger als das Nachwort. "Die Jäger auf Karinhall" zeigt,  was passiert, wenn sich absolut skrupellose Menschen eine faktisch rechtsfreie  Gesellschaft schaffen, und fragt auch nach den dahinter liegenden Interessen.
          
          
Vielen Dank an Dr. Kerstin Herbst aus Berlin
© Februar 2011 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
        
        
        
       
                  
                  
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