| Prolog Leseprobe
Eidechsen flitzten blitzschnell und rastlos über die Mauerkrone. 
          Sie kündigten die Sonne an, die in einer halben Stunde über 
          dem Meer aufgegangen sein würde. Eine Gewohnheit der Eidechsen.Die Mauer hätte auch auf Irland stehen können. Es waren zwar 
          andere Steine, aber sie war von gleicher Art. Stein auf Stein, scheinbar 
          achtlos zusammengefügt, dennoch von schöner Zweckmäßigkeit. 
          Anderthalb Meter hoch, umschloß sie den ganzen Garten und endete 
          in einer Ecke des Grundstücks an einer Wand.
 Die graue Fläche des Eternitdachs wurde von dunklem Grün umrahmt. 
          Ein paar Palmen, ein Zitronenbaum und andere Gewächse, deren Namen 
          er nicht kannte. Er hatte einige ihrer Samenkapseln aufgelesen, sie 
          geschüttelt, gelauscht und dunkle Samenkörner herausgepult. 
          Sie sahen giftig aus. Glänzend schwarz, fast metallisch, lagen 
          sie in seiner Hand wie geheimnisvolle Botschaften, und einen Moment 
          lang erwog er, sie sich mit einer schnellen Bewegung in den Rachen zu 
          werfen.
 Giftig? Na wennschon. Schön waren sie, und er hatte sie aufbewahrt, 
          um sie auszusäen.
 Plötzlich begann es zu regnen. In den Wellen des Eternits sammelten 
          sich Tropfen. Es glitzerte, wenn sie vom Dach rollten und auf die Erde 
          platschten. Im Moment des Fallens funkelten sie. Es erschien ihm wie 
          Musik. Er, der vollkommen unmusikalisch war, wurde von der schönen 
          Musik der Tropfen gefangen.
 Reiß dich zusammen, dachte er, und im gleichen Moment hörte 
        es auf zu regnen.Wellen rollten an den Strand. Am Abend zuvor hatte er versucht, ein 
          System in den unaufhörlichen Bewegungen der Wellen auszumachen. 
          Gab es eine bestimmte Frequenz? Sieben kleine und eine große? 
          Einmal war es vollkommen still geworden, ohrenbetäubend still, 
          so als hielte das Meer den Atem an. Zwei, drei Sekunden, nicht länger.
 Ableger von Blumen, die wie Ackerwinde aussahen, rankten sich um seine 
          Füße. Er ließ Sand durch die Finger rieseln und blickte 
          auf das Meer hinaus. In weiter Ferne stampfte ein Containerschiff vorbei. 
          Er machte Pläne, war aber zu müde, um noch klar denken zu 
          können, und zu fremd in dieser Landschaft, um sich in ihr geborgen 
          zu fühlen. Ausgesetzt, dachte er, ich bin an diesem Strand ausgesetzt 
          worden, und genau hier muss ich mich entscheiden.
 Aber statt Beschlüsse zu fassen, ging er zu dem kleinen Geschäft, 
          das zugleich eine Bar war - eine Hütte aus Brettern und Blech, 
          die sich an einen Baum lehnte. Ramon, von allen nur "der Bäcker" 
          genannt, reichte ihm über die Kaugummipackungen auf der Theke hinweg 
          die Hand.
 Ein älterer Mann, weißhaarig und mit tiefen Falten im Gesicht, 
          beobachtete ihn aufmerksam. Dem alten Mann gegenüber saß 
          eine Frau. Sie trug ein eng anliegendes, grünes Kleid.
 Er bestellte ein Bier, ließ sich an dem zweiten Tisch nieder, 
          nickte dem Alten zu und setzte das kalte Bier an die Lippen. Lass alles 
          so bleiben, wie es ist, dachte er, hier an diesem Tisch. Von den Bergen 
          kam das Wasser und aus dem Meer das Salz.
 "Lecker", sagte er und wusste, dass er sich betrinken würde. 
          Solange er trank, würde der Bäcker seinen Laden offenhalten.
 Er gab dem Bäcker einen Wink, auch dem alten Mann und der Frau 
          ein Bier zu servieren.
 Wir sind die neuen Konquistadoren, dachte er und seufzte.
 "Probleme? "
 Sven-Erik Cederén nickte und hob die Flasche. Er war fünf- 
          oder sechsmal in diesem Land gewesen, aber bislang niemals allein. Mit 
          jedem neuen Besuch hatte sich seine Perspektive verschoben. Die ersten 
          Male hatte er die üblichen Touristen-lokale besucht, Rum getrunken 
          und die Frauen beobachtet, jedoch nie die Initiative ergriffen. Jetzt 
          ging er zum Bäcker,
 saß meistens schweigend an seinem Tisch und trank Presidente.
 "Wie lange werden Sie bleiben?" fragte der Bäcker.
 Das Paar am anderen Tisch drehte sich um und beobachtete ihn neugierig, 
          so als wäre seine Antwort äußerst wichtig.
 "Noch eine Woche."
 Der alte Mann hob seine Flasche.
 "Ich werde Land kaufen. Gleich hinter Gaspar Hernandez." "Das 
          ist ein Dorf voller Idioten", meinte der Alte.
 "Wie sieht Ihr Land aus?" fragte die Frau.
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Er gab die üblichen Antworten, erzählte von der Kälte, 
          dem Schnee, von den Wäldern und dem Eis auf den Seen, verstummte 
          dann jedoch. Es gab noch etwas anderes, was er gerne sagen würde.Danke an den Gustav Kiepenheuer Verlag für die 
        Veröffentlichungserlaubnis."Wir leben . . . " begann er zögernd, "wir 
          leben ein ziemlich gutes Leben."
 Er fing an, von seiner Tochter zu erzählen, und bestellte noch 
          ein Bier. Der Bäcker öffnete eine Flasche Rum und schenkte 
          ihm ein Glas ein. Seine Arme ruhten auf der Theke. Sven-Erik Cederén 
          sah zu ihm hinüber, und sie lächelten sich an.
 "Fehlt sie Ihnen?" "Natürlich."
 "Ihnen fehlt noch etwas anderes", sagte der Bäcker.
 "Sein Land fehlt einem immer", meinte der alte Mann. Der Schwede 
          schüttelte den Kopf.
 "Ihnen fehlt eine Frau."
 "Schon möglich."
 Was hatte er nur getan? Ließ es sich wieder in Ordnung bringen? 
          Nein. Er konnte nur notdürftig flicken. Er war der Bekehrte, dessen 
          Bekehrung zu spät kam. Fast vierzig Jahre lang war er im Gleichschritt 
          marschiert. Jetzt tanzte er aus der Reihe. Er hatte Angst. Wenn er doch 
          nur in diesem baufälligen Geschäft sitzen bleiben, Bier trinken 
          und mit den Menschen reden könnte, die zufällig vorbeischauten. 
          Der Bäcker und sein Laden würden ihm Absolution erteilen.
 Er hatte Angst, aber nicht um seine eigene Haut. Lügner!
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