|  Leseprobe
Ein Breugheltag, dachte Peo, als er den Vorhang zur Seite zog 
        und über den Park schaute. Es war Ende März, die Sonne schien 
        von einem blauen Himmel, der aussah, als wollte er die ganze Welt umarmen. 
        Vom Balkon zum Mariedalsvägen sah er einen verheißungsvollen 
        Tag vor sich. Es war Freitag. Er hatte die ganze Woche gut gearbeitet 
        und sich als "Belohnung" einen Tag in Kopenhagen versprochen. 
        Die wöchentliche Kriminalchronik war per Fax an die Zeitung gegangen. 
        Er hatte kurz mit seinem Redakteur telefoniert - und dabei das Gefühl 
        gehabt, im Plus zu sein. Eine Serie von Artikeln über Jugendkriminalität 
        hatte großes Interesse bei den Lesern geweckt, viele hatten sich 
        bei der Zeitung gemeldet. Beinahe hätte er sich erdreistet, ein höheres 
        Zeilenhonorar zu verlangen, konnte sich jedoch in letzter Sekunde bremsen. 
        Geduld, Peo, lass dir Zeit. Es geht dir doch auch so ganz gut, dachte 
        er beim Rasieren.Das obligatorische Gespräch mit seiner Mutter im Limhamnsvägen 
        verlief wie immer: Pass auf dich auf, alles Gute, sei vorsichtig in Kopenhagen, 
        du kommst doch heute Abend wieder nach Hause. Ja, Mutter, natürlich, 
        ich ruf dich morgen an. Am Sonntag zum Essen, wie immer. Bevor er die 
        Wohnung verließ, blieb er vor dem Spiegel stehen. Er hielt das Bild 
        fest und betrachtete sich.
 Von gutem Aussehen kann bei mir wirklich nicht die Rede sein, eben stinknormal!, 
        dachte er. Aber ich habe ein reiches Innenleben, ja
 wer sagte neulich: 
        Du hast ein Gesicht wie ein Flusspferd? Hjalle? Bosse A.? Auch egal, ja, 
        es stimmt, ich sehe es selbst, das etwas Aufgeschwemmte, Traurige, die 
        Backen, die so deutlich der Schwerkraft nachgeben, oder sehe ich eher 
        aus wie ein Mumintroll? Und der Trenchcoat? Seit wann trage ich den? Seit 
        acht Jahren? Ich bilde mir nichts ein - nur dass ich mehr weiß über 
        die Kriminalität in Malmö, der drittgrößten Stadt 
        Schwedens, als sonst jemand und dass niemand sich so gut in der Popmusik 
        der sechziger Jahre in ebendieser Stadt auskennt wie ich, darauf bin ich 
        stolz. Mein Leben sonst, na ja, ich weiß, dass ich nicht mehr jung 
        bin, und ich werde nie versuchen, auszusehen wie ein Popstar, ich werde 
        mich nicht so weit erniedrigen, die grauen Haare weg zu färben, ständig 
        bei der "Kulturfirma" herumzuhängen oder gar in ein Fitnesscenter 
        zu gehen. Niemals! Lass das Leben seinen Lauf nehmen, dachte er, verließ 
        den Spiegel, trat ins Treppenhaus und schloss die Tür seines Junggesellenbunkers.Der Vogelteich im Park war noch zugefroren, und obwohl eingeleitetes Warmwasser 
        eine Rinne für die Vögel offen hielt, wagten sich eine ganze 
        Menge Leute aufs Eis. Im vergangenen Winter hatte Väterchen Frost 
        die Stadt über eine längere Zeit in seiner Gewalt gehabt, und 
        die Leute holten ihre Schlittschuhe und Eishockeyschläger aus den 
        Kellern und Schränken. Peo genoss die Farbenpracht und die Schönheit 
        des Eises. Bei ihm beschränkte sich Wintersport auf Spaziergänge 
        mit der Mutter oder, wie vor ein paar Wochen, auf eine lange Wanderung 
        auf dem Eis, von Klagshamn bis hinaus nach Höllviken. Jetzt
 spürte man, dass der Winter vorbei war, es war warm, und er sog den 
        unbestimmbaren Geruch ein, dieses Versprechen in der Luft, von dem man 
        sofort bessere Laune bekam, ganz gleich, wie es einem ging.
 Der Tag der "Großen Belohnung" war einmal im Monat. Das 
        Ziel war immer Kopenhagen, und dass sein Gang heute noch federnder als 
        sonst war, dafür war sein Kontostand bei der Sparbank verantwortlich. 
        So viel Geld wie jetzt hatte er noch nie gehabt. Er genoss es, seine Brieftasche 
        zu öffnen, er zog unnötigerweise Geld am Automaten, nur um den 
        Saldo zu sehen: 150000 Kronen. Das war neu für ihn. Er hatte endlich 
        das Stadium des "Finanzwesens der Jugend" hinter sich gelassen. 
        Das gediegene journalistische Handwerk brachte endlich, nach Jahren des 
        harten Ackerns, etwas ein. Seine Kenntnisse über Rauschgiftdelikte, 
        Motorradgangs und Jugendkriminalität waren hoch geschätzt.
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Er hatte sogar eine Anfrage aus Lund von der Universität bekommen, 
          sie hatten gefragt, ob er nicht an einem "Forschungsauftrag" 
          interessiert sei. "Das ist nicht mein Ding", hatte er geantwortet. 
          Er liebte seinen Alltag, die plötzlichen Einsätze zu einem Tatort, 
          das Schreiben unter Zeitdruck, die täglichen Runden zum Polizeipräsidium 
          und zum Gericht, die Freiheit unter Gottes Himmel und den Druck der Finanzen, 
          wie er sich ausdrückte. Er hatte seine Nische gefunden, und manchmal 
          glänzte er vor Freunden, meistens jedoch vor sich selbst mit seinen 
          genauen Kenntnissen und seinem phantastischen Gedächtnis. Wie jetzt, 
          als er aus dem Kungs-Park hinaustrat. Er sah die Häuserfassaden an 
          der Slottsgatan und erinnerte sich dank seines eidetischen, mathematischen 
          Gedächtnisses an mehrere Ereignisse, die sich in dieser Straße 
          abgespielt hatten: Nr. 16 - Wirtschaftsstraftat; Nr. 10 - Wirtschaftsstraftat 
          mit Verbindung nach Osteuropa, eventuell nach Russland, Öl; Repslagaregatan 
          - unbeteiligter Mann, erschossen von einem Polizisten, es war im heißen 
          Sommer 1985, die Ermittlungen wurden schnell eingestellt; der Selbstmord 
          der drei Jugendlichen im Sommer 93, sieh doch nicht immer die dunklen 
          Seiten, Peo, wer sagt das immer? Mutter?, dachte er und ging weiter Richtung 
          Hospitalsgatan.Danke an den Rowohlt Taschenbuch Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.Im Laden von LP-Möller wühlte er in den alten Schallplatten. 
          Der Besitzer, ein älterer Mann, der ein bisschen an eine Eule erinnerte, 
          wie er da in seine Zeitung versunken hinter der Theke saß, schien 
          keine Notiz von Peo zu nehmen, der zu seinem eigenen Erstaunen in einer 
          EmmylouHarris-Phase war. Er hatte viele Jahre die Countrymusic gemieden 
          wie die Pest, aber nachdem er Sweet Dreams gesehen hatte, einen Film über 
          Patsy Cline, hatte sich etwas in ihm verschoben, eine weitere Mauer war 
          eingestürzt, noch ein Vorurteil verblasst, er hatte sogar Dolly Parton 
          gekauft, und auch wenn diese Platten ganz unten ins Regal, in den Flur 
          gestellt wurden, so hätten doch schon aufgrund der Tatsache, dass 
          er sie gekauft hatte, einige seiner alten Freunde die Augenbrauen gehoben.
 "Friday on my mind" mit den Easybeats war heute der einzige 
          Fund. Er steckte ihn ein und ging weiter die Tege1gårdsgatan hinauf, 
          grüßte den Inhaber von Pelles Café, beschleunigte seine 
          Schritte und schaute auf die Uhr. Er wollte das 11-Uhr-Schiff erreichen 
          und hatte es allmählich eilig. Auf dem Marktplatz konnte er es nicht 
          lassen, noch einen Hunderter zu ziehen, nur um den Saldo zu sehen, und 
          dabei dachte er: Es ist unglaublich, wenn ich will, kann ich nach Kastrup 
          fahren und von da nach Thailand oder auf die Seychellen fliegen, wenn 
          ich will, ich bin ganz frei, kein Auto, keine Frau, keine Kinder, keine 
          größeren Schulden, keine festen Ausgaben, irgendwie lebe ich 
          ein perfektes Leben, das könnte man so sagen
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