„Die ganze Wahrheit“
          Ein Schriftsteller liegt in  Reykjavik im Sterben. Die Diagnose: Gehirntumor. Er ringt seiner  Krankenpflegerin, die nebenbei Gedichte schreibt, ein Versprechen ab. Das  Versprechen, seine Mutter zu besuchen und ihr die Wahrheit zu sagen. Die ganze  Wahrheit. Und die Wünsche eines Sterbenden soll man erfüllen.
          
          Der Schriftsteller Hrafn war  zwölf Jahre alt, als seine Mutter Thórhildur Hrafnsdóttir ins Gefängnis kam,  und als sie Jahre später wieder frei kam, verschwand sie aus Island. Er wusste  über viele Jahre nicht, wo sie lebte, noch was sie machte. Dann bekam er einen  Hinweis auf ihren Verbleib und er reiste um die halbe Welt, um sie wieder zu  sehen. Aber bevor er sich ihr zu erkennen geben konnte, bekam er einen  epileptischen Anfall und mußte nach Island zurückreisen. Im Buch wird dieser  Ort nicht mit Namen genannt aber man kann annehmen, dass es sich dabei um eine  Insel der Inselgruppe Hawaii handelt. Thórhildur hatte also eine vulkanische  Insel verlassen, um sich auf einer anderen Vulkaninsel wieder anzusiedeln.  Hrafns Mutter wurde wegen zweifachen Mordes verurteilt. Thórhildur wurde zu  sechzehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie im Abstand von einer Woche zwei  Männer umgebracht hatte. Und sie hatte diese Morde gestanden. Den Mord an dem  Ehemann von Sóley, Kári Karlsson, den sie in seiner Werkstatt verbrannt haben  soll und ihren Mann Ottó, ebenfalls Schriftsteller, umgekommen bei einem  Autounfall. Aber ist dies die ganze Wahrheit? Welches Geheimnis hat Hrafn die  ganzen Jahre mit sich herumgetragen? Und was soll die namenlose Erzählerin  Thórhildur von ihrem toten Sohn erzählen? Welche Geschichte soll sie  zurückbringen?
          
          
          Die Erzählerin reist also nun  nach Hawaii, um ihre Landsmännin aufzusuchen. Sie findet sie in einem kleinen  Ort, wo sie auf einem Marktplatz in einem Zelt Pullover strickt. Hier auf dem  kleinen Marktplatz saß sie nun jahrelang und strickte. Sie wirkt auf die  Erzählerin, als ob ein großer Frieden über ihr liegen würde. Als ob Zeit keine  Rolle mehr in ihrem Leben spielt – ja sie die Zeit in Person ist. "Diese  Frau scheint völlig in sich zu ruhen, zufrieden mit dem Lebensrahmen, den sie  sich geschaffen hat." Nach einiger Zeit gibt sie sich zu erkennen und  schließt Freundschaft mit Thórhildur. Thórhildur beginnt nun, der Erzählerin  Briefe zu schreiben, in der sie ihre Version der Geschichte schildert. Über das  erste Zusammentreffen mit Sóley und Kári, als sie noch Jugendliche waren. Wie  Kári erst sie und dann Sóley schwängerte. Wie Thórhildur das Kind abtreiben  ließ, Sóley aber Kári heirate und weitere Kinder von ihm bekam. Über ihre  Heirat mit Ottó und ihrem Sohn Hrafn und wie sie später Kári und Sóley wieder  begegnete und das Verhängnis begann.
          
          Dies ist ein Buch über eine  Mênage á trois. Über Schuld und Vergebung, Verlangen und Abhängigkeiten, Hass  und Liebe. Liebe, die in Gewalt und Verrat umschlägt. Ein Roman, der  stellenweise so poetisch dahinströmt, wie ein klarer Gebirgsbach, der durch  eine grüne Wiese in Island fließt, um dann abrupt die dunklen Seiten der  menschlichen Beziehungen zu zeigen, die so karg und brutal sein können, wie der  Winter im kargen Hochland dieser Vulkaninsel.
          
          
            
            
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          Es ist keiner der üblichen  Kriminalromane, die man bisher von den isländischen Kriminalschriftstellern  gewohnt ist. Langsam mäandert die Erzählung dahin, unterbrochen nur von  Einschüben aus Gerichtsprotokollen und aus Briefen, die Thórhildur an die  Erzählerin schreibt. Und so wird nach und nach aufgeblättert, wie es zu den  Todesfällen kam und warum die Mutter von Hrafn diese Schuld auf sich nahm. Eine  Verstrickung aus Schuld und Sühne, aus falschen Annahmen und schlechtem  Gewissen führen zu falschen Schlussfolgerungen und zu Entscheidungen, die nicht  mehr rückgängig gemacht werden können.
            
            
"Indem ich nichts tat,  um gegen diese primitive Kraft anzugehen, die Leidenschaft, die jeder  zivilisierte Mensch unter Kontrolle zu halten versucht, habe ich alle, die mir  lieb waren, betrogen. Dafür musste ich mit dem Leben bezahlen."
            
            Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
© März 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien