Mord am Fjord
          New Yorker Mafia zerstört das norwegische Idyll 
          
        „Mach Platz, Jo Nesbø!“ titelte euphorisch das Stavangar Aftenblad. Tatsächlich stand „Der stumme Besucher“ des 29jährigen Radiomoderators Jan-Erik Fjell monatelang an der Spitze der norwegischen Bestsellerliste. Für sein Krimidebüt erhielt Fjell außerdem den Preis des Norwegischen Buchhandels – wie vor ihm schon Jo Nesbø und Anne B. Ragde. Noch stößt der 29jährige Newcomer Nesbø nicht vom Thron, doch das Potenzial dazu hat er. Band zwei ist bereits in Arbeit. „Pass auf, Jo Nesbø!“ urteilt daher das Literaturportal schwedenkrimi.de.
          
        Norwegen ist ein sicheres Land  und ein wohlhabendes dazu. Ein Land, das stolz ist auf seine Offenheit und in  dem der „Ministerpräsident gelegentlich mit dem Fahrrad zum Amt kommt, wo  Spitzenpolitiker ohne Leibwächter unterwegs sind und der Vorstandsvorsitzende  der größten Bank beim Einkaufen im Supermarkt gesichtet wird – mit kurzen  Ärmeln. In so einem Land trauen Menschen einander nichts wirklich Böses zu“  schreibt der ARD-Korrespondent und Skandinavien-Experte 
Tilmann Bünz in „Wer  das Weite sucht“. Zwar ist dies Teil von Bünz‘ Analyse zu den Geschehnissen von Oslo und Utøya im Juli 2011, doch kann man die  Aussage auch mühelos auf Norwegens gut funktionierende Krimilandschaft  übertragen. Norwegische – und nordische Krimis im Allgemeinen – funktionieren  auch deshalb stets so gut, weil das, was uns Autoren wie Kjell Ola Dahl, Karin  Fossum oder alle voran Jo Nesbø  präsentieren, stets die Idylle zerstört und wahnwitzige Mörder ihre grausamen  Taten vor malerischen roten Holzhäusern und atemberaubender, friedlicher  Landschaft verüben. Hier fügt sich auch Jan-Erik Fjells Krimidebüt „Der stumme  Besucher“ ein.
        
        
        Schauplatz ist die knapp 75.000  Einwohner zählende Stadt Fredrikstad, südlich von Oslo und malerisch am  Oslofjord gelegen. Hier wird der Milliardär Wilhelm Martiniussen auf höchst  „professionelle“ Weise mit einer Klaviersaite erdrosselt. Daher wird  Hauptkommissar und Mafia-Fan sowie –Kenner Anton Brekke von Oslo nach  Fredrikstad gerufen. Zwar gibt es schnell einige Verdächtige und Motive, da  Martiniussen sich beziehungsweise seine Firma erst kurz zuvor aus Liebe zu  seiner nur 29 Jahre jungen Geliebten aus einem einträchtigen Öl-Projekt  zurückgezogen hat, was etlichen Geschäftspartnern finanzielle Einbußen  einbringen wird. Doch Brekke, der in guter kriminalliterarischer Tradition mehr  nach Intuition denn nach Vorschrift handelt, glaubt nicht, dass der Täter  bereits gefunden ist. Erst als sich herausstellt, dass der vermeintliche  amerikanische Tourist, der kurz nach dem Mord an Martiniussen niedergeschlagen  wurde, kein Urlauber, sondern vielmehr ein gesuchter New Yorker Mafioso ist,  nehmen die Ermittlungen an Fahrt auf.
      
          
Anton Brekke, der typische nordische Kommissar
      
            Was sich als spannungsfördernd  erweist, nämlich der zweite, parallel verlaufende Handlungsstrang, der zeigt,  wie aus dem jungen Vincent Giordano ein skrupelloser „Ehrenmann“ der 
Familie wurde, ist gleichzeitig Fjells  größtes Handicap. Dass Brekke Mafia-Experte ist und nun ausgerechnet ins  beschauliche Fredrikstad auf einen waschechten New Yorker Mafioso trifft – und  damit der Einzige im Ermittlertrio ist, der überhaupt in der Lage ist, Vincent  Giordano als solchen zu identifizieren und damit den Fall zu lösen – ist ein  bisschen zu viel des schriftstellerischen „Arrangements“ und Zufalls. Und wie  wahrscheinlich ist es, dass ein ranghohes Mafiamitglied aus New York nach  Norwegen kommt, um eine alte Rechnung zu begleichen? Dennoch hat Anton Brekke  das Zeug zum Star unter den nordischen Kommissaren und mit ihm sein junger  Autor. Zum einen erfüllt Brekke alle Eigenschaften, die von einem nordischen  Kommissar erwartet werden: Er ist hinreichend unsympathisch, traktiert er Polizeianwärter  Magnus Torp doch ständig und macht sich über seinen Kollegen Haugen bei jeder  Gelegenheit lustig, hat außerdem einen Hang zur Spielsucht und zu schlechten  Anmachen und ist schließlich geschieden und Vater eines Sohnes, den er zu  selten sieht. Damit hat er beste Voraussetzungen, einer der ganz Großen zu  werden, auch wenn noch ein bisschen Luft nach oben ist. Zum anderen gehört  Fjells Schlussszene zu den Besten seit langem. Sie hat es in sich und sorgt für  einen richtigen Überraschungsmoment. Fortsetzung folgt, da darf man sicher  sein. „Mach Platz, Jo Nesbø!“ titelte daher euphorisch das Stavangar  Aftenblad. Tatsächlich stand „Der stumme Besucher“ monatelang an der Spitze der  norwegischen Bestsellerliste und Fjell erhielt für sein Krimidebüt den Preis  des Norwegischen Buchhandels – wie vor ihm schon Jo Nesbø und Anne B. Ragde. Noch stößt Fjell, der  29jährige Newcomer, Nesbø nicht vom Thron, doch  das Potenzial dazu hat er. Band zwei ist bereits in Arbeit. „Pass auf, Jo Nesbø!“ urteilt daher das Literaturportal  schwedenkrimi.de. 
          
          Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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