Auf den Spuren von Tony Hill
          
        Wir kennen einsame Wölfe, resignierte  Polizisten, beinhart recherchierende Journalistinnen, ja sogar Anwältinnen und  Pfarrerinnen, doch der Psychologe schien bis dato keine nennenswerte Rolle im  skandinavischen Krimi der Gegenwart gespielt zu haben. Doch nun kommt Sander  Mørk, der auf Tony Hills Spuren wandeln will –in einem Krimidebüt, das seine  Schwächen, aber auch seine Stärken hat.
          
        Die Figur des Psychologen ist seit  Val McDermids Tony Hill in der angloamerikanischen Kriminalliteratur ebenso fest  verankert wie auch der Cozy-Krimi immer noch seinen festen Platz dort hat. Der  skandinavische Krimi kannte bis dato vor allem PolizistInnen und  Journalistinnen als Protagonisten, hier und da noch Rechtsanwälte, sogar  Pfarrerinnen und Krankenpflegerinnen, aber weit und breit kein Psychologe. Doch  nun ist Sander Mørk da! Er hilft in Jan-Sverre Syvertsens Debütroman „Blaue  Augen“ der „jungenhaften“ (Blaue Augen, S.8, 15) Kommissarin Lisa Lunde bei der  Aufklärung der Entführung der vierzehnjährigen Tonje aus Ski, einer kleinen  Stadt eine halbe Stunde südlich der norwegischen Hauptstadt Oslo.
        
Pädophilie, Internet und pubertierende  Mädchen 
        Sander Mørk ist Schulpsychologe an  Tonjes Schule, hat reich geerbt, liebt das gute Leben und Essen und birgt ein  dunkles Geheimnis, das mit seinem Wechsel von einem gut dotierten Job in  Stockholm zur Schule nach Ski zu tun hat. Wie dieser Sander Mørk seinen  Snobismus und seine Einsamkeit zelebriert, wirkt zuweilen etwas klischeehaft  und aufgesetzt. Auch die Gespräche, die er mit Kant, dem Konrektor der Schule  führt, scheinen direkt aus einem Psychologielehrbuch zu stammen. Dass außerdem  auch Lisa Lunde etwas zu verbergen hat, ist ein bisschen zu viel des Guten.  Dabei hätte „Blaue Augen“ so viel künstliche Spannung, die die Ermittlungen  zeitweilig zu gefährden droht, gar nicht nötig, denn der Krimi des norwegischen  Autors vermag durchaus von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln. Dafür  sorgt die brandaktuelle Thematik. Es stellt sich nämlich heraus, dass sich  Tonje zusammen mit ihren Freundinnen in pädophilen Chatrooms herumtrieb, um die  Kinderschänder anschließend zu erpressen. Als Tonje dann entführt wird, in der  Pädophilenszene Fotos des Mädchens auftauchen und die Leiche eines Mädchens  entdeckt wird, das Kontakt zu denselben Leute hatte wie die entführte Tonje, zeigt  sich, dass Lisa und Sander es mit einem internationalen Ring von Pädophilen zu  tun haben, die Tonje außer Landes bringen wollen. Ein Wettlauf mit der Zeit  beginnt.        
        
         Das alles scheint sehr sauber und  in seiner ganzen Geschäftsmäßigkeit glaubwürdig recherchiert. Doch das ist nur  eine der Stärken des Buches. Vor allem, wie Jan-Sverre Syvertsen die  pubertierenden Freundinnen von Tonje schildert, die immer wieder versuchen,  ihren smarten Schulpsychologen in Versuchung zu führen, wie dieser in die  Bredouille gerät, sich den Annäherungen zu erwehren, ohne in seiner Funktion  als Psychologe zu sehr auf Distanz zu gehen, ist gut beobachtet und mit viel  Sensibilität geschildert. Auch der Charakter Tom Oles, des Stiefvaters von  Tonje, der im Verlauf der Ermittlungen ebenfalls ins Visier der Fahnder gerät,  ist überzeugend dargestellt. Das Ende hält dann noch einige Überraschungen  bereit, die genau das verstörende Gefühl beim Leser zurücklassen, das  aufrüttelt. 
        Ein souveräner Autor
        Abgesehen von oben genannten  „Charakterschwächen“ bringt der Krimi uns das Thema Pädophilie näher, als uns  lieb sein kann. Jan-Sverre Syvertsen ist, wenn es um die Sache geht, ein souveräner  Autor, der Thematik und Handwerk versteht, und durchaus das Zeug hat, profunde  Charakterstudien anzustellen. Etwas weniger Exzentrik bei Sander Mørk, etwas  weniger „dunkle“, aber zumindest bei Lisa Lunde durchschaubare Geheimnisse, und  etwas mehr von der Art Charakterkreationen wie das der pubertierenden Mädchen  oder eines Ole Tom, dann hat auch der skandinavische Krimi in Zukunft einen  Psychologen, der auf den Spuren Tony Hills wandeln kann.
            
          „Blaue Augen“ war in Norwegen und Dänemark ein  Bestseller. In diesem Frühjahr erscheint dort der nächste Lunde/Mørk-Roman  „Stillste Wasser“, während Jan-Sverre Syvertsen derzeit bereits an einer  weiteren Fortsetzung der Serie arbeitet.
          
          Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
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