| ZWEI Leseprobe
Spannung und Erwartung lagen in der Luft. Ein Baggerfahrer 
          saß über sein Lenkrad gebeugt und qualmte geduldig eine Selbstgedrehte, 
          das Kinn auf die Handfläche gestürzt. Drei seiner Kol1egen 
          standen neben einem LKW und kickten Schottersteinchen, während 
          sie eifrig diskutierten. Ein Mann, dem Helm nach zu urteilen der Vorarbeiter, 
          sprach in ein Handy und nickte energisch.Um das große Loch in der Landstraße hatten hatten zwei Lollegen 
          von der Streife rot-weißes Band gespannt. Der Ältere der 
          beiden saß im Polizeiwagen und sprach händefuchtelnd in sein 
          Funkgerät, während der Jüngere den Verkehr durch die 
          Baustelle winkle.
 
 William Wisting bückte sich unter der Absperrung 
          hindurch und staunte bei dem Anblick, der sich ihm bot. Am Grund des 
          ungefähr drei Meter tiefen und ebenso breiten Lochs lag ein alter 
          Garderobenspind. Er war verbeult und hatte eine Schramme an der Seite, 
          wo ihn die Baggerschaufel erwischt hatte. Die Tür stand offen, 
          und an einer Metalllasche hing ein verrostetes Vorhängeschloss.Wisting wusste nicht so recht, was er da eigentlich anstarrte. Der Inhalt 
          des Schranks schien undefinierbar und glich nichts ihm Bekanntem. Das 
          Ganze war von einer klebrigen Schimmelschicht mit schwachem Grünstich 
          überzogen. Unter diesem zähen Belag schienen Textilien der 
          Nährboden für fast durchsichtige Pilze zu sein. Lange, gräuliche 
          Sporen hatten die Stoffreste durchdrungen, die wie eine braune Masse 
          dalagen. Dazwischen ragten kalkweiße Knochen hervor, von wachsartigem 
          Schleim bedeckt. Aus dem oberen Teil des Schranks glotzte ein grauer 
          Schädel, daran ein paar Haarbüschel, hohl in der Luft.
 Die Überreste dessen, was vor langer Zeit einmal ein Mensch gewesen 
          war, verursachten Wisting eine Gänsehaut und ein Prickeln im Nacken. 
          Er öffnete den Mund, brachte aber nicht mehr zustande, als nach 
          Luft zu schnappen.
 "Hatte ich das nicht erwähnt?", fragte Hammer grinsend. 
          "Das er schon eine Weile gelegen hat?"
 Wisting überhörte ihn. Ohne einen Gedanken an seine Kleidung, 
          seine Schuhe oder Ingrid, die beides wieder säubern würde 
          müssen, stieg er hinunter ins Loch. Er konzentrierte sich auf das 
          Rätsel, das ihm der alte Metallschrank aufgab. Sein Gehirn sog 
          alle Details auf, die für die kommenden Ermittlungen von Bedeutung 
          sein konnten: Der Name des Herstellers: Stålsett, stand gerade 
          noch lesbar über der Schranktür; Reste eines Pullovers; ein 
          Lederriemen mit einer von Grünspan befallenen Gürtelschnalle; 
          etwas Schimmerndes, das einst wohl glänzend gewesen war, vermutlich 
          eine Kette; aneinander hängende Metallteile, offensichtlich die 
          Häkchen eines BHs.
 "Sie", sagte Wisting nachdenklich. "Das ist eine Frau."
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   "Kennst du dich mit so was aus?" fragte Haber zweifelnd und 
          machte die ersten Fotos."Vielleicht kannst du mir auch gleich erzählen, wie viele 
          Kinder sie hatte?"
 "Die betreffende Person trug jedenfalls einen BH", erklärte 
          Wisting und zeigte auf die Reste der Haken, die an der Wirbelsäule 
          hingen.
 "Außerdem ist es ein kleiner Schrank. Ich bezweifele, das 
          ein ausgewachsener Mann darin Platz gehabt hätte."
 
 © Rowohlt/ 2006 - Danke an den Rowohlt Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.
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