"Ein Psychogramm ist der Versuch eines  Persönlichkeitsbilds durch Zusammenstellung und Deutung aller erfassbaren  psychologischen Daten. Die Aufstellung eines Psychogramms findet unter anderem  in der psychologischen Diagnostik Anwendung und geht auch in die “Anamnese”  ein. Im Rahmen der Anamnese, Erinnerung, wird die Vorgeschichte eines Patienten  in Bezug auf seine aktuellen Beschwerden erhoben."
            
          Nichts anderes macht  Kjell-Olof Bornemark in seinem Buch “Schuldlos ohne Schuld”. Behutsam und  eindringlich zeichnet er das Bild eines Mannes, der sich langsam aber sicher in  seiner eigenen Welt verliert und seine Umwelt und seine Mitmenschen nur noch  als Feinde, als Gegner ansehen kann. Und unter diesen vor allem die Vertreter  der Macht. Die Politiker. Und so schildert Bornemark das unaufhaltsame Zusammentreffen  von Martin Larsson und dem hochrangigen Politiker, hinter dem unschwer der  schwedische Staatsminister Olof Palme zu erkennen ist. Kjell-Olof Bornemark  zeichnet einen neuen Verlauf des Mordes an Olof Palme nach. Die Theorie des  Einzeltäters, eines Täters, der es nicht auf die Person Olof Palme abgesehen  hatte, sondern auf die Politiker, auf die Macht.
              
            "Nie zuvor ist  Martin jemanden so nahe gekommen, der uneingeschränkt die absolute Macht  vertritt. Martin sieht ihn mit dunklen Augen an. Es ist nicht der Mann, den er  betrachtet, sonder das, was er vertritt. Die Macht. Diese Macht, die ihm, Martin  Larsson, ein anständiges Leben verweigert hat, die ihn erniedrigt, verurteilt  und zerbrochen und dann von sich weggeschoben hat wie einen Aussätzigen. Diese  Macht und also auch der Mann dort tragen die Verantwortung für Martins  qualvolles Leben mit all seinen   Demütigungen und Niederlagen."
            
            Die Gesellschaft hat  Martin Larsson klassifiziert. Niemand verkündet offen, dass er verrückt sei,  jedenfalls nicht so verrückt, dass man ihn einsperren müsste. Aber sie haben  ihn in ein Fach verstaut. Dort darf er bleiben, solange er keine  Unannehmlichkeiten macht. Er, der es gewohnt ist allein zu sein und der sich  daran gewöhnt hat, dass die anderen nie mit ihm, aber über ihn sprechen. Er ist  allein bei der Arbeit, hat keine Freunde und er ist nicht der hellste Kopf.  Aber er ist empfindlich. Er verträgt keine Beleidigungen, eingebildete und  reale. Aber warum soll er alles hinnehmen? Vielleicht ist er trotzdem nicht  ganz einsam. "Es muss andere geben, die dieselben Erfahrungen gemacht  haben wie ich", denkt er. Der Hass muss überall liegen und schwelen,  kleine flackernde Flammen in abgelegenen Verstecken, die selten die Kraft haben  aufzulodern und die sich allzu oft selbst ersticken. Gemeinsam ist ihnen, den  Ausgegrenzten, dass sie allzu viel erdulden, dass sie Schläge hinnehmen und  gewohnt sind, Prügel einzustecken, und dass sie nichts anderes erwarten. Viele Beiseitegestoßene  ziehen sich lieber in ihr Inneres zurück, als sich aufzumachen und nach  Gleichgesinnten zu suchen. Der Ausgestoßene ist gezwungen, nichts und niemand  anzuerkennen außer sich selbst. Er kämpft gegen die Selbstverachtung, die, wie  er weiß, ihren Grund in der Feigheit hat. Um weiterleben zu können und  schließlich nicht die Achtung vor sich selbst zu verlieren, muss der  Ausgestoßene hassen, und wenn der Hass endlich zu schwelen und zu glimmen  beginnt, muss er mit Liebe und menschlicher Nähe gelöscht werden, falls er  nicht in vernichtenden Flammen emporschlagen soll.
   
  
  "Die biographische Anamnese ist darüber hinaus  erweitert auf die gesamte Lebensgeschichte des Patienten. Eine sorgfältige  Anamneseerhebung schließt biologische, psychische und soziale Aspekte mit  ein."
  
  "Bosheit. Die  Schläge mit der Blumenschere durch seinen Vater. Irene. Oiva und die Finnen.  Die Polizei, die ihm in den Bauch schlug. Die Staatsanwältin und ihre kalten  Augen. Alle, die ihn gekränkt und verhöhnt und dabei ihr Vergnügen gehabt  haben. Der lebenslange Verrat. Die kalte Zurückweisung von denen, die sagen,  sie seien anders, und die immer meinen, dass sie mehr seien als er selbst.  Schließlich die schlampige Verkommenheit seiner Zechkumpane. Die Bosheit trifft  immer den Schwachen, und wenn dieser sich ein einziges Mal mit denselben  Mitteln zu wehren versucht, wird er bestraft. Er wird nicht nur als schuldig,  sondern auch als unmenschliches Ungeheuer hingestellt, dass man ausrotten muss.  Es gibt niemanden der begreift, dass er selbst - Martin Larsson - nicht glaubt,  eine Schuld zu tragen. Nicht mehr Schuld als alle um ihn herum."
  
  Er aber wird  Vergeltung üben für all die Situationen, in denen er weggejagt oder abgespeist  worden ist, behandelt wie ein Aussätziger in einem Land, in dem alle  gleichberechtigt und denselben Wert haben, wo aber diejenigen, die nicht den tristen  Normen entspreche, beiseite gedrängt und als Abfall behandelt werden. Man hat  ihn in ein Nichts verwandelt, in eine statistische Absonderlichkeit, mit der  niemand rechnet und der man nicht die Hand geben kann, da es sich um keine  Person handelt. Und als er die Möglichkeit bekommt, selbst Macht auszuüben,  nimmt er dies wahr. Die Waffe hat sein Leben verändert und ihm Stärke  verliehen. Es ist auch eine Frage der Rache. Indem es andere nie erfahren, kann  er sich endlich und endgültig für die Beleidigungen rächen, denen er ausgesetzt  war. Auch wenn er fort ist, wird er in ihrer Erinnerung weiterleben, in dem  Bild, das sie von ihm haben. Und sie werden nie erfahren, wer er wirklich war.
  
  "Mit Stolz  begreift er, dass er seinen Namen in das Buch der Geschichte eingeschrieben  hat. Er ist eine historische Persönlichkeit geworden, und niemand kann ihm das  rauben. Aber: Niemand  darf je die  Wahrheit über ihn erfahren, über die denkwürdige Tat, die er vollbracht hat. Er  wird namenlos in die Geschichte eingehen. Damit muss er zu leben lernen."
  
  
"Die Katharsis bezeichnet in der Psychologie die  Hypothese, dass das Ausleben von inneren Konflikten und verdrängten Emotionen  zu einer Reduktion der Konflikte und Gefühle führt. Vornehmlich wird von  Katharsis gesprochen, wenn durch das Ausleben von Aggressionen eine Reduktion  der Aggressionsbereitschaft erzielt werden soll. Neuere Untersuchungen legen  aber dar, dass dies nicht der Fall ist, sondern führt zu einer Steigerung  aggressiver Tendenzen."
  
  Nichts Besonderes ist geschehen. Ein Mensch ist  verschwunden, aber niemand wird ihn vermissen. Eine Mordwaffe ist weg, und sie  wird nie gefunden werden. Eine Erzählung ist zu Ende.
          
          
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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