| "Ich möchte Sie einladen, mit mir eine Reise zu unternehmen."Vortrag des Bestseller-Autoren Henning MankellÜbersetzung: Eva Sternberg
 Quelle: Zsolnay-Verlag
 Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie das in Schweden 
          (und in Afrika) so üblich ist, möchte ich mit einer Geschichte 
          beginnen.Wir denken gemeinhin, und zu Recht, daß es vier Möglichkeiten 
          gibt, mit anderen Menschen oder mit uns selbst Kontakt aufzunehmen oder 
          aber uns neues Wissen anzueignen: reden, zuhören, schreiben und 
          lesen. Doch es gibt gewisse Situationen, in denen das nicht stimmt. 
          In denen weder die gesprochene noch die geschriebene Sprache entscheidend 
          ist und andere Kommunikationsformen größere Bedeutung haben.
 
 Ich möchte Sie einladen, mit mir eine Reise zu unternehmen. Die 
          billigsten und schnellsten Reisen macht man in seiner Phantasie. Weder 
          Paß noch Fahrkarten noch Geld sind hier notwendig. Begeben wir 
          uns also auf eine Reise, und zwar zuerst nach Norden.
 
           
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                  | Impressionen 
                    aus Skandinavien (c) Kerstin Seeland
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            |  |  Machen wir halt in einem unbedeutenden nordschwedischen 
          Dorf namens Sveg. Dort bin ich großgeworden. Damals, in den fünfziger 
          Jahren, lag Sveg völlig abseits, entfernt von allem.
 Wenn versehentlich mal ein Stockholmer Auto dort auftauchte, dann war 
          das geradezu eine Sensation. Dort, am nördlichen Ufer des Flusses 
          Ljusnan, bin ich also aufgewachsen. Und ich weiß heute noch ganz 
          genau, daß ich im Alter von sechs bis sieben Jahren in diesem 
          Fluß Krokodile gesehen habe. Für andere waren es sicher Baumstämme 
          auf ihrer langen Fahrt zum Meer. Aber für mich blieben es Krokodile. 
          Das verriet ich jedoch wohlweislich niemandem. Es war eben mein Geheimnis. 
          Der Fluß Ljusnan war also der Kongo, der durch meine Kindheit 
          floß. Wie alle Kinder las auch ich die Erzählungen der großen 
          Forschungsreisenden Mungo Park, Stanley, Livingstone, Burton, Darwin. 
          Ich glaube, ich habe sehr früh im Leben erkannt, was für ein 
          außerordentlich sinnlicher Genuß das Reisen, das Aufbrechen 
          ist. Ich empfinde es heute noch als einen fast erotischen Genuß, 
          meine Koffer zu packen und loszuziehen. Im Grunde hat meine Reise nach 
          Afrika mit den Krokodilen begonnen.
 
 Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas anderes 
          erwähnen: Ich glaube, Kinder sind die eigentlichen Künstler. 
          In der Kindheit haben Phantasie und Wirklichkeit denselben Stellenwert. 
          Dieses Gleichgewicht beginnt dann, sich zu verschieben, zunächst 
          wenn wir in die Schule kommen, und dann immer mehr im Laufe des Lebens. 
          Wenn man sich also irgendwie künstlerisch betätigen will, 
          heißt das, sich sein Leben lang zu bemühen, etwas von jenem 
          Gleichgewicht aus Phantasie und Wirklichkeit zurückzuerobern, das 
          man als Kind besessen hat. Es hat schließlich doch zwanzig Jahre 
          gedauert, bis ich das erste Mal nach Afrika kam.
 
 Man kann tatsächlich nach Hause kommen an einen Ort, an dem 
          man noch nie war.
 
 Ich erinnere mich noch heute an jenen Morgen Anfang der siebziger Jahre, 
          an dem ich in aller Herrgottsfrühe in einem westafrikanischen Land 
          aus dem Flugzeug stieg. Sofort überfielen mich diese Düfte, 
          die Afrika ausmachen. Verlockende, beängstigende, bittere, süße, 
          verführerische, magische, träumerische Düfte. Ich fühlte 
          mich sofort zu Hause, was eigentlich völlig unerklärlich ist, 
          denn in meiner Familie gibt es weder Missionare noch andere Geistliche. 
          Aber ich glaube, in diesem Augenblick wurde mir etwas klar, das ich 
          bis dahin nicht begriffen hatte und das zu den größten Geheimnissen 
          des Lebens gehört. Man kann tatsächlich nach Hause kommen 
          an einen Ort, an dem man noch nie war. Das war für mich das Ende 
          dieser kindlichen Sehnsucht nach der Ferne, nach dem Aufbruch, nach 
          dem »Land am Ende der Welt«.
 
 Seitdem hat sich natürlich meine Beziehung zu Afrika verändert 
          und vertieft und ist zu einem entscheidenen Teil meiner Identität 
          als Schriftsteller geworden. Nun stehe ich sozusagen ziemlich breitbeinig 
          da, mit dem einen Fuß im Schnee und dem anderen im Sand. Wenn 
          man versuchen will, Einfluß zu nehmen auf die heutige Zeit, dann 
          ist, so glaube ich wenigstens, eine gewisse doppelte Optik notwendig. 
          Es ist, als hätte ich jetzt einen Beobachtungsturm in Europa und 
          einen in Afrika. Dadurch erfasse ich die Welt deutlicher. Natürlich 
          bilde ich mir keineswegs ein, ich sei auf dem Weg, mich in einen Afrikaner 
          zu verwandeln. Aber Afrika macht mich zu einem besseren Europäer, 
          und das ist etwas ganz anderes.
 Doch unsere Reise geht weiter. Machen wir unsere nächste Pause 
          auf einem kleinen Friedhof in Südschweden. Wer sich dort umschaut, 
          findet in einer Ecke des Friedhofs ein einfaches Kreuz über einem 
          Grab. Auf einem kleinen Messingschild ist folgende erstaunliche Inschrift 
          zu lesen: »Hier ruht Josef, geboren in der Kalahariwüste 1868, 
          gestorben in Lunnarp, Schweden 1880.« Man stutzt. Was ist das eigentlich 
          für eine Geschichte, die hier begraben liegt? Wer war wohl dieser 
          Josef? Wie kommt es, daß ein kleiner Buschmannjunge auf einem 
          ländlichen Friedhof in Schweden begraben wurde? Ich habe einige 
          Nachforschungen angestellt und die Konturen einer sowohl tragischen 
          als auch traurigen Geschichte zutage gefördert. Aber irgendwie 
          paßt sie in die heutige Zeit. Ich will sie kurz erzählen.
 
 Nun stehe ich sozusagen ziemlich breitbeinig da, mit dem einen Fuß 
          im Schnee und dem anderen im Sand.
 
 
  Um 
          1855 herum begab sich ein schwedischer Entomologe in den Teil des südlichen 
          Afrika, der heute Botswana und Namibia umfaßt. Ich glaube, er 
          war weder gut noch böse. Er hatte keine kolonialen Bestrebungen. 
          Er fuhr einfach los, um bislang unbekannte Insekten zu erforschen und 
          vielleicht einige neue zu entdecken. Auf seinen Fahrten traf er einen 
          schwedischen Großwildjäger namens Andersson, der sich in 
          der gleichen Gegend aufhielt. In der Handelsstation jenes Andersson 
          fand der Entomologe einen kleinen, verlausten, mageren Jungen, der in 
          einer Art Pappschachtel hauste. Andersson erklärte, er habe den 
          Jungen gegen ein Gewehr getauscht. Der Junge war Waise, und niemand 
          kümmerte sich um ihn. Der Entomologe hatte ein gutes Herz und beschloß, 
          ihn zu adoptieren und ihn nach Schweden mitzunehmen. In den Tagebuchaufzeichnungen, 
          die ich gefunden habe, erzählt er rührend, wie er während 
          der langen Seefahrt von Kapstadt aus Seemannsanzüge für Josef 
          nähte. 1875 kamen sie in Schweden an. Aus alten Zeitungsausschnitten jener Zeit habe ich von Vorträgen 
          erfahren, die der Entomologe hier und da in Schweden gehalten hat. Nur 
          wenig war hier von ihm die Rede, dafür um so mehr von dem kleinen 
          »Hottentottenknaben«, der mit ihm durch die Lande zog. Einige Jahre 
          später fuhr der Entomologe wieder nach Afrika zurück. Doch 
          Josef sollte in Schweden bleiben. Er kam bei einem Kätner in Lunnarp, 
          einem Ort in der südöstlichen Ecke Schwedens, unter. Dort 
          sollte er in die Schule gehen, bei einem protestantischen Pfarrer Unterricht 
          nehmen und in Holzpantoffeln laufen lernen. Einige Jahre später 
          starb Josef im Alter von nur zwölf Jahren. Auf dem Totenschein 
          ist als Todesursache Tuberkulose angegeben. Es gibt keinen Grund, das 
          anzuzweifeln.
 
 Aber ich bin davon überzeugt, daß er auch an etwas ganz anderem 
          gestorben ist, an etwas, das sich nicht in Worte fassen oder auf einem 
          Totenschein angeben läßt. Es war wohl die Traurigkeit; er 
          hat sich zu Tode getrauert. Ich kann ihn vor mir sehen, mutterseelenallein 
          auf den lehmigen Äckern in Schonen, im Nebel. Wie er dasteht und 
          horcht nach den Trommeln in der Ferne. Seine Ohren hören nichts 
          als das Rascheln der Blätter in den Baumkronen und das Gekrächze 
          der Krähen. Wahrscheinlich hat er sich gefragt, wo der warme Sand 
          geblieben ist. Weshalb man so bleischwere Schuhe tragen muß, daß 
          einem die Lust am Laufen vergeht. Wo die Geister seiner Vorfahren geblieben 
          sind. Und seine Eltern. Und sein ganzes Leben. Für mich liegt hier 
          der tiefere Sinn von Josefs Geschichte.
 Es ist, als stünde er auf der anderen Seite des Lebensflusses, 
          winkte uns zu und erinnerte uns daran, daß der gute Wille allein 
          nicht ausreicht, um einem anderen Menschen zu helfen oder ihn zu stützen. 
          Guter Wille muß von Vernunft begleitet sein. Sonst führt 
          er eher zu negativen als zu positiven Ergebnissen. Diese Geschichte 
          erzähle ich oft angehenden Entwicklungshelfern. Und meine Schlußfolgerung 
          ist immer dieselbe: Vernünftig handeln heißt, die Leute zu 
          fragen, denen man beistehen möchte. Vielleicht sollte man sogar 
          gerade denen zuhören, auf die man laut gewisser Ratgeber überhaupt 
          nicht hören sollte. Genau das ist der Sinn von Josefs Geschichte. 
          Über ihn werde ich übrigens irgendwann ein Buch schreiben.
  Guter Wille muß von Vernunft begleitet sein. 
          Sonst führt er eher zu negativen als zu positiven Ergebnissen.
 Zwischen Josef und der Frage der Bosheit besteht kein augenfälliger 
          Zusammenhang. Ich möchte trotzdem einige Worte dazu sagen. In Schweden 
          ist im Moment ein Thema aktuell, das mich erschreckt und wütend 
          macht. Es geht um die Bosheit. In den Schlagzeilen ist oft von »sinnloser 
          Gewalt« die Rede. Dabei stellt sich sofort die Frage: Wie sieht denn 
          wohl sinnvolle Gewalt aus? Daß wir in einer Welt und in einer 
          Zeit leben, in der immer öfter Gewalt ausgeübt wird, ist offensichtlich. 
          Es gibt Jugendliche, die einander grundlos foltern und ermorden. Doch 
          ab und zu werden Stimmen laut, die im Ernst behaupten, Bosheit sei bei 
          manchen Menschen angeboren.Es gebe sie von Geburt an, und sie liege 
          in den Genen. Das hieße, Bosheit hätte den gleichen Ursprung 
          wie Sommersprossen. Oder Kahlköpfigkeit. Und das macht mir angst. 
          Gewinnt diese Auffassung die Oberhand, dann werden sicher über 
          kurz oder lang Forderungen laut, Waffen sollten im nächsten Lebensmittelladen 
          zu kaufen sein. Dann gehen wir wahrlich dunklen Zeiten entgegen. Der 
          Krieg aller gegen alle. Männer, die sich im Schutze der Dunkelheit 
          aufmachen, um Jagd auf böse Menschen zu machen. Das heißt 
          auch, daß der rationale Humanismus, das rationale Menschenbild, 
          demzufolge es keine in genetischer Hinsicht bösen Menschen gibt, 
          auf verlorenem Posten ist. Bosheit ist nicht mit Sommersprossen oder 
          Kahlköpfigkeit zu vergleichen. Es ist eine Frage der äußeren 
          Umstände, die dazu führen, daß Menschen böse Taten 
          begehen. Und diese Umstände müssen wir bearbeiten und bekämpfen.
 
 Das hieße, Bosheit hätte den gleichen Ursprung wie Sommersprossen. 
          Oder Kahlköpfigkeit. Und das macht mir angst.
 
 Ich spreche und schreibe oft über dieses Thema. Darüber, daß 
          wir in einer Zeit leben, in der sehr viele Menschen an den Rand der 
          Gesellschaft gedrängt werden und eine Randgruppenexistenz führen 
          müssen. Es gibt junge Menschen, die nicht damit rechnen können, 
          jemals in ihrem Leben Arbeit zu finden.
 
 Menschen, die sich in ihrem eigenen Land überflüssig und unwillkommen 
          fühlen. Das sind die Umstände. Und Menschen, die sich ausgestoßen 
          fühlen, reagieren eben. Vielleicht sogar mit Gewalt. Die Wurzeln 
          der Bosheit liegen in den äußeren Umständen. Nicht in 
          unseren Genen. Daß das Menschenbild die Bürger in mehrere 
          Lager spaltet, geschieht nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Doch 
          nach wie vor ist es von größter Bedeutung, gegen die Leute 
          einzutreten, die Mythen und Wahnvorstellungen verbreiten wollen, zum 
          Beispiel die, daß der Teufel gelegentlich bei der Zeugung eines 
          Kindes mitmischt. Das gibt mir das Stichwort zu einer Reihe von Büchern, 
          die ich in den neunziger Jahren geschrieben habe. In diesen Büchern 
          spielt ein ganz unauffälliger schwedischer Kriminalkommissar die 
          Hauptrolle. Er heißt Kurt Wallander und wohnt in der kleinen südschwedischen 
          Stadt Ystad. Als ich zum ersten Mal über ihn und seine Kollegen 
          schrieb, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, daß sich 
          so viele Menschen für ihn interessieren würden. Ich hätte 
          mir nie träumen lassen, daß diese Bücher in einer Gesamtauflage 
          von über drei Millionen Exemplaren erscheinen und in fünfzehn 
          verschiedene Sprachen übersetzt würden, darunter Deutsch und 
          Französisch. Am Anfang hatte ich nur vor, ein Buch zu schreiben. 
          1989 kehrte ich für ein Jahr nach Schweden zurück. Schnell 
          wurde mir klar, daß Fremdenfeindlichkeit dort zu einer entscheidenden 
          gesellschaftlichen Frage geworden war. Etwa so, als läge eine Bombe 
          vor den Füßen jedes einzelnen Schweden, und er verschlösse 
          dennoch die Augen.
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Daraufhin habe ich mich entschlossen, ein Buch über Rassismus zu 
          schreiben. Da Rassismus für mich kriminell ist, schien es mir ganz 
          natürlich, eine Kriminalintrige zu verwenden. So weit, so gut. 
          Jetzt fehlte mir natürlich noch ein Polizist. So entstand Kurt 
          Wallander. Es liegt mir sehr daran, zu betonen, daß Wallander 
          aus meinem Bedürfnis heraus geboren wurde, über Rassismus 
          zu schreiben. Einen anderen Grund gab es nicht. Nachdem das erste Buch 
          von der Leserschaft so positiv aufgenommen worden war, begriff ich, 
          daß ich mir mit diesem Kriminalkommissar ein Werkzeug geschaffen 
          hatte. Ich entschloß mich, weitere Geschichten über ihn zu 
          schreiben. Ausgangspunkt sollte sein, die Entwicklung der schwedischen 
          und vielleicht auch der europäischen Gesellschaft unter die Lupe 
          zu nehmen. Ihr Zustand sollte sich in verschiedenen Verbrechen widerspiegeln. 
          Ich wollte versuchen, die in den Tiefen des schwedischen Rechtsstaates 
          schwelenden Krankheiten offenzulegen. Ich wollte zeigen, wie es im morschen 
          Unterbau des Rechtsstaates nur so knarzt. Mir lag daran, eine ganz einfache 
          Wahrheit festzustellen.
 Es liegt mir sehr daran, zu betonen, daß Wallander aus meinem 
          Bedürfnis heraus geboren wurde, über Rassismus zu schreiben.
 
 Wenn der Rechtsstaat nicht funktioniert, dann ist die gesamte Demokratie 
          bedroht. Denn ohne glaubwürdigen Rechtsstaat kann Demokratie einfach 
          nicht funktionieren. Insgesamt gibt es acht Wallanderromane. Ich möchte 
          nicht Gefahr laufen, der Fließbandarbeit bezichtigt zu werden 
          und das Schreiben zur Routine werden zu lassen. Das würde einer 
          nicht-literarischen Tätigkeit gleichkommen. Damit würde ich 
          weder den Lesern noch mir einen Gefallen tun. Und heutzutage, wo fast 
          alles angeblich »in Bewegung« ist, scheint es mir wichtig, die große 
          Kunst des Innehaltens nicht zu vergessen. Ich habe natürlich oft 
          darüber nachgedacht, warum Kurt Wallander so beliebt ist. Ich wage 
          zu behaupten, daß es am Inhalt der Bücher liegt. Sie behandeln 
          etwas, das viele Menschen angeht. Aber ich glaube, es hat auch damit 
          zu tun, daß Wallander selbst sich in ständigem Wandel befindet. 
          Wie Sie und ich. Die literarische Glaubwürdigkeit liegt darin, 
          daß man die Widersprüchlichkeit eines Menschen wiedergibt. 
          Mir persönlich sind Bücher zuwider, wo ich nach ein paar Seiten 
          alles über eine Gestalt weiß, und die dann keine Veränderungen 
          mehr durchläuft. Kurt Wallander dagegen ist im siebten Buch ganz 
          anders als im ersten. Das macht ihn glaubwürdig, denn insofern 
          ähnelt er uns.
 
 Ich habe natürlich oft darüber nachgedacht, warum Kurt 
          Wallander so beliebt ist.
 
 Die letzte Geschichte, die ich Ihnen heute erzählen möchte, 
          kommt aus Mosambik, aus dem nördlichen Teil des Landes. Wie Sie 
          alle wissen, gab es dort dreißig Jahre lang fast ununterbrochen 
          Krieg. Mit dem Befreiungskrieg gegen die Portugiesen 1964 fing es an. 
          Dann folgte ein Bürgerkrieg. 1992 kam endlich der Frieden. Gegen 
          Ende der achtziger Jahre befand sich das Land in einer äußerst 
          prekären Lage. Millionen von Menschen waren auf der Flucht, eine 
          Million war gestorben, es gab Hunger und Elend. Ich bin damals in den 
          Norden des Landes gereist.
 Eines Tages war ich zu Fuß auf dem Weg zu einem Dorf. Mir entgegen 
          kam ein Mann, mager, vielleicht auch hungrig. Seine Kleider hingen in 
          Fetzen. Dann sah ich seine Füße. Was ich erblickte, werde 
          ich mein Lebtag nicht vergessen: Ich habe es beim Schreiben stets vor 
          Augen. Er hatte Schuhe auf seine Füße gemalt. Mit Erdfarben. 
          Das war die letzte Möglichkeit für ihn, seine Würde zu 
          bewahren. Dieser Wunsch war stärker gewesen als das Elend, das 
          ihn seiner Würde zu berauben drohte. Ich glaube, in meinen Büchern 
          geht es um diesen Mann. Um Menschen, die sich nie unterkriegen lassen, 
          egal wie schlecht es gerade aussieht.
 
 Und beim Schreiben habe ich immer folgenden Leitgedanken: Eines Tages 
          können wir alle in eine Situation geraten, in der wir darauf gefaßt 
          sein müssen, Schuhe auf unsere Füße zu malen. Und dann 
          müssen wir sicher sein, daß wir dazu auch fähig sind.
 
 In meinen Büchern geht es um Menschen, die sich nie unterkriegen 
          lassen, egal wie schlecht es gerade aussieht.
 Es gibt ein afrikanisches Sprichwort, das lautet: »Der 
          Mensch hat zwei Ohren, aber nur eine Zunge.« Damit wir mehr zuhören 
          und weniger reden. Und deshalb höre ich jetzt auf.
 Henning Mankell, Schriftsteller |