| Bengt und das amerikanische Mädchen Leseprobe
(Bengts Geschichte)
 Bengt und die Häuser. 1969. Als er klein war, faszinierten Bengt
          die Häuser auf Der Zweiten Odde. Sie wurden auf dem Grund und
          Boden gebaut, den der Kusinenvater für teures Geld verkauft hatte.
          Die Zweite Odde war eine Landzunge und einer der schönsten
          Plätze im Trakt. Das Gebiet wurde in Parzellen zerstückelt, auf die
          Häuser gebaut wurden, moderne Wochenendhäuser für eine Ferienhaus-Ausstellung, eine der ersten Ausstellungen dieser Art im
          Land. Nachdem sie in einem Sommer Ende der sechziger Jahre
          stattgefunden hatte, wurden die Häuser eins nach dem anderen
          verkauft, meistens als Sommerhäuser an Menschen mit Geld, sie
          waren ja nicht gerade billig; oft an Leute ohne frühere Verbindung
          zum Trakt.Es waren besondere Häuser, utopische Häuser. Häuser in
          kühner, neuer Architektur. Und Bencku, er kannte sich mit Architektur
          aus, er verstand etwas von diesen Häusern. Er hatte ihre
          Entwürfe studiert und sie mit den Architekten diskutiert, er war
          immer in der Nähe gewesen, während sie gebaut wurden. Er hatte
          sie also im Kopf, lange ehe sie fertig waren.
 Er betrachtete sich als den eigentlichen Experten für diese
          Häuser, weil er mehr von ihnen wusste als ihre zukünftigen Besitzer,
          mehr als die Architekten, die sie entworfen hatten. Denn er
          stammte hier aus dem Trakt, er war der Einzige, der die Häuser in
          der Umgebung kannte.
 Und die Umgebung, der Trakt, das war seineWelt: Die Zweite
          Odde, Die Erste Odde, die vier Moorseen und der große tiefeWald,
          der im Osten an den Moorschlamm grenzte – dort, wo später dann
          das Haus im sumpfigeren Teil errichtet wurde.
 Und den gesamten Trakt hatte Bencku auf eine besondere
          Weise im Kopf. So zeichnete er ihn in seinen Karten. Mit diesen
          Karten würde er sich noch als Erwachsener beschäftigen.
 
 
 
          Bencku und die Karten. Sie waren ja kein Geheimnis. Er sprach          über sie, jedenfalls mit Leuten, die er gut kannte. Aber nicht viele
          bekamen sie zu sehen, fast niemand, und deshalb dachten etliche,
          das sei nur Gerede. Dass sich Bencku damit wie immer nur wichtig
          machen wolle.
          Aber es gab sie. Sie existierten tatsächlich. Und auf ihnen
          zeichnete Bencku nach und nach fast alle Häuser ein, alles, was
          es im Trakt gab. Aber auf seine Weise. Benutzte seine eigenen Bilder,
          Codes. Und eigene Namen. Namen, die eine Mischung waren
          aus den tatsächlichen Namen, die es seit alters im Trakt gab, und
          all den Bezeichnungen, die er selbst erfunden oder in Büchern
          nachgeschlagen hatte. Kapu Kai, zum Beispiel, das bedeutet geheimes
          Meer im Akronesischen.
          Aber die Namen hatten für Bengt noch eine andere Funktion.
          Er fand nämlich, dass unabhängig davon, wer dort später wohnen
          und die Häuser auf Der Zweiten Odde besitzen würde, es seine
          Häuser waren, weil er ihnen die Namen gegeben hatte. Wie alles
          seins war.Bencku selbst. Er war zu dem Zeitpunkt dreizehn, groß und sah
          bedeutend älter aus. So ein Mürrischer, Stiller, der meist für sich
          blieb; allerdings passierte es manchmal, bei Menschen, die er
          kannte, dass er richtig auftaute und sich lang und breit über dieses
          und jenes ausließ, für das nur er sich zu interessieren schien.
          Ornament und Bruch, Monochronien im Rahmen der Landschaftsarchitektur,
          solche Sachen.
 »Bencku spinnt«, sagte seine Schwester Solveig oft zu ihrer
          Zwillingsschwester Rita in dem roten Haus, wenn sie unter sich
          waren.
 »Der hat eine Schraube locker«, sekundierte Rita. Das war
          eine Zeit, einmal vor langer Zeit, im Anbeginn der Zeiten, als sich
          die beiden Schwestern immer so einig waren.
 Rita, Solveig, Bengt: Nicht viel verband die drei Geschwister, aber
          das Hochaufgeschossene war ihnen gemeinsam. Und dass es darüber
          hinaus nicht so viel anderes gab, das betonten Rita und Solveig
          wirklich nachdrücklich.
          Und sie waren alle drei »Kusinen« im Kusinenhaus. Dort
          waren sie aufgenommen worden vom Kusinenvater und der Kusinenmutter,
          die der Kusinenvater geheiratet hatte, nachdem sein
          Bruder und die Frau des Bruders bei einem tragischen Verkehrsunfall
          umgekommen waren, als die drei Geschwister noch klein
          waren. Als die Kusinenmutter ins Haus kam, brachte sie einen
          eigenen Sohn mit, den Björn. Und die Kusinenmutter war die Tochter
          von Kommissar Loman und eine, die eigentlich mit beiden Beinen
          stets fest auf der Erde stand.
          Vetter Björn teilte mit Bengt das Zimmer im ersten Stock des Kusinenhauses.
          Björn war achtzehn, arbeitete im Wald und würde
          vielleicht Landwirtschaft studieren und Diplomlandwirt werden.
          Er hielt sich die meiste Zeit in der Scheune des Kusinenhofes auf,
          bastelte an seinem Moped oder mit Schrott und solchen Sachen
          herum, wovon es in der umfangreichen Sammlung des Kusinenvaters
          eine Menge gab. Bengt war oft bei ihm; Bengt und Björn,
          die beiden hielten zusammen.
          Sie waren die besten Freunde, obwohl Björn fünf Jahre älter
          war. Und in gewisserWeise waren sie sich auch ähnlich: Beide waren
          zum Beispiel ziemlich still. Björns Schweigsamkeit fiel einem
          weniger auf als Bengts, Bengt war sozusagen ein bisschen stacheliger.
          Björn hingegen war beliebt und nett und umgänglich.
          Björn und Bengt – gemeinsam bildeten sie ein ungleiches
          lustiges Paar. Das geballte Schweigen nannte man sie manchmal.
          Bengt, dreizehn Jahre, einen halben Kopf größer als der fünf Jahre          ältere, nachdenkliche Björn. »Meine Augensterne«, pflegte die Kusinenmutter
        von den beiden Jungen zu sagen.
 
                  So war es also, ehe Eddie kam, ehe Bencku Eddie begegnete und
          sich alles veränderte. Aber als die Veränderung erst einmal begonnen
          hatte, ging alles sehr schnell. In weniger als einem Jahr sollte
          alles, was bisher gewesen war, zerstört sein.
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |  Eddie aus dem Häuschen am Meer auf Der Zweiten Odde. Eddie
          mit der Gitarre und der dünnen Stimme, die ein bisschen schief
          klang, aber das machte nichts. Eddie, die mit einem merkwürdigen
          Akzent sprach und Ausdrücke und Wendungen benutzte, die
          manchmal ziemlich fremd waren, die einen aber trotzdem, und
          vielleicht genau deshalb, sofort packten.
 »Ich bin ein fremder Vogel, Bengt«, sagte sie. »Bist du das
          auch?«
 Eddie, das amerikanische Mädchen.
 Eddie, höchst geliebt, aber im Schlamm.
 Eddie, höchst geliebt, aber sie endete im Schlamm.
 
 © für die deutschsprachige Ausgabe 2008 Fahrenheit Verlag, vielen Dank für die Veröffentlichungserlaubnis 
      bei schwedenkrimi.de
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