In der Nacht zum 23. Januar 1973 brach ohne jede Vorwarnung ein neuer Vulkan auf Heimaey, der größten Insel der Westmännerinseln, aus. Der Feuerberg "Eldfell", direkt neben dem Helgafell, der etwa 5000 Jahre inaktiv war, spukte Lava und Asche aus. Alle Insulaner wurden noch in derselben Nacht mit Fischerbooten aufs Festland evakuiert, niemand kam zu Schaden. Der Ausbruch dauerte fünf Monate, und als sich die Erde wieder beruhigt hatte, war die Insel um zwei Quadratkilometer größer, etwa 300 Häuser waren unter der Lava verschwunden, die Übrigen unter einer meterhohen Schicht aus Asche und Bimsstein begraben. Island hatte sein "Pompeji des Nordens".
32 Jahre später beginnt eine Reise in die Vergangenheit. Meterdick unter Vulkanasche begrabene Häuser warten auf eine Wiederentdeckung. Eine Projektgruppe mit dem Namen "Pompeji des Nordens" beginnt, diese Häuser nach über 30 Jahren dem Vergessen zu entreißen. Dieses Ausgrabungsprojekt nimmt Yrsa Sigurðardóttir zum Ausgangspunkt ihres dritten Kriminalromans "Das glühende Grab" (Aska).
Das erste Kapitel beginnt damit, dass Dóra, eine in den mittleren Lebensjahren stehende, geschiedene und etwas unbequeme Rechtsanwältin, mit einem Archäologen im Elternhaus eines Klienten in Heimaey auf den Westmännerinseln wartet. Als Teil des Archäologieprojektes ist dieses Haus an der Reihe, der Asche entrissen zu werden. Der Asche, die das elterliche Haus während des Vulkanausbruches von 1973 verschlungen hat. Der Klient, der jüngere Sohn eines "Fangquotenkönigs" hat eine richterliche Genehmigung bekommen, eine Kiste aus dem Keller für sich zu bergen, bevor die Archäologen damit beginnen, die Hinterlassenschaften seiner Familie zu durchsuchen.
Aber der Klient findet mehr als diese Kiste - mumifizierte menschliche Überbleibsel - und die Kiste, welche er für eine alte Jugendliebe aus der Schulzeit gelagert hatte, enthält noch etwas schrecklicheres. Plötzlich hat der Klient einen Haufen Ärger am Hals, während Dóra, die bewährte Rechtsanwältin, versucht, die Unschuld ihres Klienten zu beweisen. Damit hat die etwas renitente Rechtsanwältin alle Hände voll zu tun. Dunkle und schreckliche Geheimnisse werden ausgegraben. Geheimnisse, die vermeintlich für immer und ewig verschwunden zu sein schienen. Verschwunden vor über drei Jahrzehnten mit den durch Lava und Asche verbrannten Häusern in einer kalten Nacht im Januar auf den Westmännerinseln. Und, was das Geschehen noch schrecklicher macht, stirbt die damalige Jugendliebe unter merkwürdigen Umständen. Die einzige Person, die Dòras Fragen nach dem makaberen Inhalt des mysteriösen Kartons vielleicht hätte beantworten können. Und die ihren Klienten hätte entlasten können.
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Alle Beteiligten hatten schreckliche Fehler gemacht und alle waren sich viel zu spät der Folgen bewusst geworden. Dóra hatte in ihrem Job schon so viel Unerklärliches erlebt, dass sie das nicht überraschte. Als Juristin hatte Dóra gelernt, Menschen nicht nach ihren Fehlern zu beurteilen. Viele Fehltritte ihrer Mandanten beruhten auf purer Dummheit, andere auf falschen Entscheidungen, die übereilt und in ausweglosen Situation getroffen wurden. Und wieder hat Dóra einen Fall, der sich als eine menschliche Tragödie entpuppt.
Die Handlung des Krimis ist gut durchdacht, logisch und nicht zu kompliziert, als dass der Leser aufgibt. Dinge, die zu Beginn absolut beiläufig und ohne Beziehung zu der eigentlichen Handlung erscheinen, machen zum Schluß Sinn, alles geht auf, ein Knoten ist an jedes lose Ende gemacht worden. Wobei die Aufarbeitung der Handlung im letzten Kapitel jedoch etwas zu hastig ausgeführt zu sein scheint. Wohltuend ist in diesem Buch, dass Dóras deutscher Freund Matthias, im Hintergrund bleibt. Hat sein Auftauchen in dem vorherigen Kriminalroman etwas erzwungenes, so läßt Yrsa ihn in "Das glühende Grab" nur per Telefon mitwirken. Und er hat nichts mit der Lösung des Falles zu tun. Offen bleibt, wie es mit dieser Beziehung weiter geht. Matthias hat einen Job in Island angeboten bekommen aber seine Entscheidung ist noch in der Schwebe. Auch Dóra weiß nicht, ob sie überhaupt will, dass er nach Island kommt. "Sie wollte, dass er nach Island kommt, aber sie wollte auch frei und unabhängig sein." Und so übernimmt, Bella, die Sekretärin aus dem Rechtsanwaltsbüro den Part von Matthias. Das gibt Yrsa Sigurðardóttir Gelegenheit, hier und da komische und skurrile Passagen einzubauen.
Yrsa, die seit ihrem ersten Kriminalroman "Das letzte Ritual" auch immer einen gespenstischen oder mystischen Aspekt in ihren Büchern einwebt, hält sich auch hier etwas zurück. Nur in einem Kapitel, dem Kapitel 29, ist ein Hauch davon zu spüren. Dóra und Bella dringen nachts in das abgesperrte Ausgrabungsgebiet ein. Alles ist still und schaurig. Sie gehen auf einer Straße, die mehr als 30 Jahre begraben war, eine Geisterstadt, in der Schrecken erregende Ereignisse stattgefunden haben. "Dóra hatte das unangenehme Gefühl, aus den zerbrochenen Fenstern der unbewohnten Häuser beobachtet zu werden. Natürlich wusste sie, dass außer Bella kein menschliches Wesen in der Nähe war, fühlte sich aber dennoch unwohl.(...) Es war nicht schwer, sich eine staub verschmierte Frau mittleren Alters vorzustellen, die im Morgenmantel am Fenster stand und darauf wartete, dass das Leben dort weiterging, wo es im Januar 1973 so urplötzlich aufgehört hatte." Dieses Kapitel zeigt, dass Yrsa die Fähigkeiten besitzt, die erforderlich sind, um verwirrende Gefühle und anschauliche Details zu beschreiben, die eine mystische und gespenstische Stimmung beim Leser hervorrufen."Das glühende Grab" ist wieder ein Buch, das man in einem Zug durchlesen kann und das einen gut unterhält. Oft hat man Anlaß zum Schmunzeln über diese desperate Rechtsanwältin, Mutter und frischgebackene Oma, die nicht nur ihren Fall lösen sondern auch noch ihre Kinder und eine etwas aufsässige Sekretärin am Hals hat. Der Schluß, die Lösung des Falles, ist wiederum ein gelungener Dreh, mit dem wohl wenige gerechnet haben.
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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