Der perfekte Mord ist der Mord ohne Motiv an einem 
          Fremden, dachte Michael, während er ein weiteres Mal seinen Plan 
          durchging. Ohne Motiv? Nun ja, er kannte das Motiv zumindest nicht. 
          Doch der Kontaktmann hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es einen sehr 
          guten Grund dafür gab, die Journalistin Karin Sommer aus dem Weg 
          zu räumen. Man hatte ihm auch mitgeteilt, dass mächtige Kräfte 
          dahinter standen  und richtig viel Geld. Als er den Auftrag angenommen 
          hatte, hatte er 50 000 Euro Vorauszahlung bekommen, und wenn alles vorbei 
          war, wartete in einem Schließfach eine halbe Million auf ihn.
          So war es geplant und er hatte nicht viele Bedenken gehabt. Der Auftrag 
          wurde gut bezahlt und er war  richtig. Michael war kein Auftragsmörder. 
          Er war Soldat. Mit Leib und Seele. Die bevorstehende Mission ließ 
          ihn unwillkürlich Haltung annehmen. Vor einem halben Jahr hatte 
          er anders dagestanden. Damals, als er unehrenhaft aus dem Paradieslager 
          im Irak nach Hause beordert worden war. Doch während man ihn einerseits 
          für ein Pflichtversäumnis gerügt hatte  ein Iraker 
          war auf einem Transport ums Leben gekommen , hatte man ihn andererseits 
          indirekt rehabilitiert.
          »Sie müssen wissen«, hatte Major Ernst Poulsen  
          ein hochrangiger Offizier  zu ihm gesagt, »dass wir in zwei 
          Welten leben. In einer wirklichen und einer fiktiven. In der wirklichen 
          Welt waren Sie ein guter Soldat. Da, wo man Böses mit Bösem 
          bekämpft. Sie brauchen sich für nichts zu schämen, doch 
          wir müssen uns damit abfinden, dass viele Menschen in einer Illusion 
          leben und uns Soldaten als eine Art Kindergartenpädagogen oder 
          Missionare betrachten, die vom Paradieslager aus die gute Botschaft 
          verbreiten sollen
 Nehmen Sie Haltung an!«
          Michael hatte Haltung angenommen, dem Major in die Augen gesehen und 
          geantwortet: »Kann schon sein, dass ich mich für nichts zu 
          schämen brauche, aber davon kann ich nicht leben. Ich bin zehn 
          Jahre meines Lebens in dieser Branche tätig gewesen und das ist 
          das Einzige, was ich wirklich kann.«
          Der Major hatte ihn stumm angesehen, ein Kalenderblatt aus dem Block 
          auf dem Tisch gerissen und eine Telefonnummer darauf geschrieben.
          »Rufen Sie ihn an. Er ist ein alter Freund. Ich werde mit ihm 
          reden. Ich glaube, dass er Ihnen vielleicht mit einem Job helfen kann. 
          Er ist okay. Sie können keinen Arbeitsvertrag, keinen Kündigungsschutz 
          und kein Urlaubsgeld erwarten, aber er wird Ihnen irgendetwas vermitteln, 
          wo Sie Ihre Fähigkeiten und Ihre Erfahrung einbringen und etwas 
          Geld verdienen können.«
          Michael hatte leicht skeptisch ausgesehen. Er war nicht dumm.
          
          »Auf legale Weise?«, hatte er gefragt.
          »Das kommt darauf an, wie man den Begriff definiert und welchem 
          Gesetz man folgt. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie ein Mann sind, 
          der mehr Wert darauf legt, was richtig und was falsch ist als darauf, 
          was legal und was illegal ist?«
          Michael hatte genickt und gefragt: »Geht es um den militärischen 
          Nachrichtendienst?«
          »In gewisser Weise, ja. Um eine geheime transatlantische Zusammenarbeit. 
          Stellen Sie nicht zu viele Fragen, vertrauen Sie mir: Es geht um den 
          Krieg gegen den Terrorismus. Die Terroristen folgen nicht dem Gesetz 
          und nur Idioten glauben, dass man sie bekämpfen kann, indem man 
          ihnen die dänische Verfassung um die Ohren schlägt. Man muss 
          sie mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen. Etwas in dieser Richtung 
          macht mein Freund. Die Details sind mir nicht bekannt.«
          Michael verstand und nickte.
          »Das könnte mich interessieren.«
          Der Mann, den er angerufen hatte, hieß Frederik  Frederik 
          und sonst nichts.
          »Ich habe mich nach dem Kronprinzen benannt«, erklärte 
          er. »Dem besten Mann des Militärs. Er ist ein unfähiger 
          Soldat, soweit ich gehört habe, aber unschätzbar als lebendes 
          Reklameschild.«
          Frederik konnte ironisch und zweideutig sein, was Michael anfangs nervös 
          gemacht hatte. Damals, als er ihn nur vom Telefon her kannte. Dann wurde 
          Michael  nach dem ersten zur Zufriedenheit erledigten Job  
          auf der Straße von einem ungefähr fünfundvierzigjährigen, 
          leicht ergrauten, fetten Mann mit einer dicken Brille und schütterem 
          blonden Haar angesprochen:
          »Guten Tag, ich bin Frederik. Ich denke, wir kennen uns?«
          »Ich denke nein«, antwortete Michael kühl.
          »Überprüfen Sie es. Wählen Sie meine Handynummer.«
          Als er die Nummer gewählt hatte, klingelte Frederiks Handy. Das 
          überzeugte. Sie setzten sich in ein Straßencafé. Frederik 
          trank ein Fassbier und Michael eine Cola light mit Zitrone. Michael 
          trank nie Alkohol. Nicht aus irgendeinem Abstinenzprinzip, sondern aus 
          einem Reinlichkeitsprinzip. Er wollte seinen Körper nicht mit einem 
          organischen Lösungsmittel verunreinigen. Ordnung und Reinlichkeit 
          waren wichtige Elemente in Michaels Leben. Er nahm zwei- bis dreimal 
          täglich eine Dusche und folgte dabei einem festen Ritual: dreimal 
          einseifen und abduschen. Seine teure, aber minimalistisch eingerichtete 
          Wohnung in dem neuen In-Viertel um Islands Brygge war von einer strengen 
          Ordnung geprägt und seine Mutter machte bei ihm sauber  jeden 
          Tag. Er war nahe daran gewesen, sie zu schlagen, als er eines Tages 
          Staub auf einem Türrahmen entdeckt hatte, aber sie hatte sich entschuldigt 
          und geweint, und seitdem hatte er an ihrer Putzarbeit nichts mehr auszusetzen 
          gehabt. Irgendwo in seinem tiefsten Inneren wusste er, dass man die 
          eigene Mutter nicht schlägt, doch es war auch nur einige wenige 
          Male passiert. Im Übrigen war es ihre Idee gewesen, bei ihm sauber 
          zu machen. Sie war selbst ein Ordnungsmensch und die Einzige, die wirklich 
          verstand, dass Unordnung und Schmutz ihm physische Schmerzen bereiteten. 
          Bei ihm musste alles immer schön gerade und symmetrisch geordnet 
          sein und im Paradieslager im Irak war eine Anekdote im Umlauf gewesen, 
          dass er nach einem Gefecht mit ein paar aufrührerischen Irakern 
          die Leichen in eine gerade Reihe gelegt hatte. Doch davon einmal abgesehen, 
          war sein Ordnungs- und Sauberkeitstick beim Militär von Vorteil 
          gewesen. Blank polierte Stiefel und gut geschmierte Waffen zu präsentieren, 
          musste man ihm nicht erst befehlen. Sein Drang zur Reinlichkeit hatte 
          ihn jedoch auch zu einem Einzelgänger im Soldatenmilieu gemacht, 
          denn er interessierte sich auch nicht für Pornos und Sex. Allein 
          der Gedanke an den Schweiß und den Schleim des sexuellen Akts 
          ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Während die anderen 
          sich unter ihren stöhnenden Laptops einen herunterholten, ging 
          er auf die Toilette und onanierte zu seinem eigenen Konfirmationsbild. 
          Er hielt seinen Penis mit Toilettenpapier fest und onanierte direkt 
          in das Pissoir. Er akzeptierte seinen Sexualtrieb ebenso nüchtern 
          wie das Bedürfnis, seine Notdurft zu verrichten.
          Sein Kontaktmann, Frederik, hatte nur wenig und andeutungsweise von 
          sich erzählt. »Spezialaufgaben« hatte er bedeutungsvoll 
          gesagt. »Militär und Nachrichtendienst, In und Ausland 
 
          auf ziemlich hohem Niveau.«
          
            
            
              | Buchtipp | 
            
              |  | 
          
          Wie sie da in dem Straßenrestaurant saßen, klopfte er Michael 
          in Patriarchenmanier auf die Schulter: »Du bist jetzt eine Stufe 
          aufgestiegen!«
          »Was bedeutet das?«, fragte Michael.
          »Dass du mich treffen darfst«, antwortete Frederik. »In 
          Zukunft halten wir persönlichen Kontakt, aber es gibt gewisse Sicherheitsvorkehrungen. 
          Frag nicht nach Namen, Wohnung oder Stellung. Ich nehme Kontakt zu dir 
          auf, wenn es nötig ist. Oder du rufst die Nummer an, die ich dir 
          gegeben habe.«
          »Ja, gut«, antwortete Michael und zog sich leicht zurück. 
          Frederik hatte Mundgeruch. Ein persönlicher Kontakt zu ihm war 
          kein Gewinn.
          »Aber wie nennt sich unser Arbeitgeber?«, fragte er kurz 
          darauf.
          »Glückskrieg«, kam es prompt von Frederik.
          »Wie bitte?«
          »Das ist der Deckname der Operation, mit der wir im Augenblick 
          befasst sind  ein wichtiger Teil der Terrorbekämpfung«, 
          sagte Frederik.
          »Das klingt ein bisschen 
 ja 
«, Michael suchte 
          nach dem richtigen Wort.
          »Das ist nicht pathetischer, als ein dänisches Militärlager 
          im Irak Camp Eden zu nennen«, unterbrach ihn Frederik.