Wenn man den  isländischen Titel von Stefánssons Kriminalroman „Krosstré“ ins Deutsche  überträgt, erhält man den nautischen Begriff  „Quersaling“ oder „Saling“. Die Saling ist im traditionellen Schiffbau eine Holzkonstruktion,  welche die Hoftaue spreizt, so dass diese in größerem Winkel den oberen Teil  des Mastes abstützen. Auf  Segelschiffen  ist diese eine Plattform auf der man stehen kann und damit sicheren Boden unter  den Füßen hat. Jón Hallur selbst meint zu seinem Titel, dass dieser schwer zu  übersetzen ist aber die zugrundeliegende Bedeutung ist: "Sogar die Dinge,  auf die Du Dich am meisten verlässt, können Dich im Stich lassen".
            
            Jón Hallur, der in  Island als Kronprinz der isländischen Kriminalliteratur gehandelt wird,  erzählt uns die Geschichte von Björn, einem  erfolgreichen Architekten Anfang 40, der von seinem Sohn Marteinn schwer  verletzt am  Seeufer im Thingvellir  gefunden wird. Björn war spät abends noch zu dem Sommerhaus der Familie  gefahren, nachdem er einen Anruf erhalten hatte und hatte sich seither nicht  mehr gemeldet. Und nun findet ihn sein Sohn   mit eingeschlagenem Schädel - Verbrechen oder Unfall? Björn, Architekt,  Ehemann und Vater zweier Kinder, hat ein Verhältnis mit Sunneva Gunnarsdóttir, einer  rothaarigen Architekturstudentin von beunruhigender Schönheit. Sie ist die  Tochter von Gunnar, bis vor kurzem Freund und Kollege von Björn und ehemaliger  Teilhaber eines gemeinsamen Architekturbüros. Gunnar wurde ausbezahlt, da er  Alkoholiker ist. Marteinn kommt hinter das Verhältnis und bricht bei Sunneva  ein, um Klarheit zu bekommen. Marteinn spürt, wie die Familie zerbricht. Er hat  das Gefühl, dass er die Menschen, die normalerweise als die nächsten  Anverwandten gelten, kaum noch kannte. „Eiskalte Stille“ ist ein Kriminalroman  über kaputte Beziehungen, Lügen, unausgesprochen Wahrheiten und der  Unfähigkeit, miteinander zu reden. Deshalb wird auch sehr bald deutlich, dass  der Architekt in einem Netz aus Lügen und Täuschungen gefangen ist. In diesem  Netz sind auch seine Familie, seine Geliebte und seine Mitarbeiter verstrickt.  Sind Opfer und Beteiligte zugleich.
            
        
            
          Der eigentliche  Protagonist neben dem Polizisten Valdimar Eggertsson ist Marteinn. Marteinn,  den wir kennen lernen, als er versucht bei Sunneva einzubrechen, ist hin und  hergerissen zwischen der Loyalität zu seinem Vater und dem Hass auf ihn. Als es  aber darauf ankommt, seinen Vater zu schützen, bringt er sich selbst in größte  Gefahr. Die Polizisten verdächtigen ihn, etwas mit der Sache zu tun zu haben  und er durchkreuzt die Pläne eines Mörders. Ja, es kam ihm vor, als bedeutete  er für jeden Unglück, der auch nur in seine Nähe kam.
          
          Und es gibt den  Polizisten Valdimar, der durch Jón Hallur dadurch eingeführt wird, dass dieser  einen Schwulen zusammenschlägt. Kein angenehmer   Typ dieser Valdimar, aber im Laufe der Geschichte erfährt man einiges  über ihn. Seine Schwächen, Vorurteile und seine Gefühle. Er ist keine  sympathische Erscheinung dieser Polizist. Sieht wie der typische Mörder aus,  wie jemand, der nur auf die Gelegenheit wartet, gewalttätig zu werden. Er ist  37 Jahre alt und seit sechs Jahren bei der Kriminalpolizei. Valdimar hat gerade  Beziehungsstress mit seiner Freundin und leidet unter einer Berührungs-Phobie.  Und dies vor allem Frauen gegenüber. Und immer mußte er an jenen Spätsommer  denken, den seine Mutter unvergesslich gemacht hatte, indem sie sich im  Badezimmer die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Valdimar gibt die Schuld daran  seinem Vater. Mittlerweile herrschte zwischen ihnen eine Art Waffenstillstand,  der auf der Grundlage des Selbstmordes der Mutter funktionierte.
          
          „Eiskalte Stille“  ist zum großen Teil eine urkomische schwarze Komödie, die nicht selten an  einige Filme von Alfred Hitchcock erinnert. Ist es Zufall, dass dem Leser bei  einer Schilderung über die Beseitigung einer Leiche an „Frenzy“ denkt, in  welcher der Mörder mit einer Frauenleiche kämpft? Eine groteske und bizarre  Szene, die hier ein adäquates Duplikat erhält. Das ist aber nicht die einzige  bizarre Szene in diesem Roman. Der mißlungene   Einbruch von Marteinn bei Sunneva ist ein gutes Beispiel dafür, um nur  eines zu nennen und um nicht zu viel zu verraten. Auch gibt es noch die  Geschichte in der Geschichte. Die Erzählung über den japanischen Auftragkillers  Hananda Nau, der vom Mörder zum Lebensretter wird und dadurch völlig neben die  Spur kommt. Er hatte einen Job zu erledigen und wusste nicht, wie er ihn  anpacken sollte.
          
Jón Hallur schreibt direkter,  härter als zum Beispiel Arnaldur Indriðason. Es ist nicht der feine  Pinselstrich, wie bei Arnaldur. Beziehungen werden über Sex definiert oder über  Abhängigkeiten. Liebe ist brutal, aber nie genussvoll. Doch der Humor ist  schwarz, bizarr und urkomisch. Jón   Hallur Stefánsson erlangte wohlverdiente Aufmerksamkeit, als er im Jahre  2004 den Wettbewerb der isländischen Kriminalschriftsteller mit seiner  Kurzgeschichte "Enginn engill", auf deutsch "Kein Engel"  gewann. Krosstré ist sein erster Roman, eine komplexe Geschichte, spannend und  kunstvoll geschrieben. Ein Kriminalroman mit makaberen Elementen, der den Leser  bis zur letzten Seite im Griff behält.
          
          
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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