| Man kann diskutieren, ob die Schriftsteller 
        von ihrer Epoche geprägt werden oder sie prägen.Jedenfalls haben sich in den 80er Jahren sehr viele jüngere Verfasser 
        in der Gattung der Kriminalliteratur versucht. Ein Jahrzehnt später 
        zogen die Kolleginnen nach. Vielleicht ist das wichtiger, als uns heute 
        scheint? Womöglich prägt das unser Bild von den letzten zwanzig 
        Jahren dieses Jahrhunderts?
 
 
 Jon Michelet führte 
        Mitte der siebziger Jahre den urbanen, politischen Kriminalroman in Norwegen 
        ein. Sein (Anti-)Held, der Osloer Kommissar Vilhelm Thygesen, bekämpft 
        schlimme Fälle von politischen und Wirtschaftsverbrechen. Auch Kjartan 
        Fløgstads zwei Kriminalromane aus der gleichen Zeit stehen unter dem Einfluss 
        des amerikanischen Detektivromans.
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Dagegen machte Gunnar Staalesen seinen Bergener Privatdetektiv Varg Veum 
          etwas sentimentaler als seine amerikanischen Vorbilder. Er trinkt Aquavit 
          statt Whisky, während er auf neue Kunden wartet und es in Bergen 
          wie immer regnet.Im Verlauf der 80er Jahre wurde die Kriminalliteratur salonfähig 
          und fand in die schöngeistigen Buchgemeinschaften Eingang. Eine ganze 
          Reihe jüngerer Schriftsteller machte sich einen Namen als Kriminal- 
          und als "gewöhnliche" Romanverfasser, darunter Ingvar 
            Ambjørnsen, Lars Saabye Christensen, 
          Roy Jacobsen und Jo 
            Nesbø. Es gibt deutliche Gemeinsamkeiten zwischen den reinen Kriminalromanen 
          dieser Autoren und dem Plot mehrerer von Jan 
            Kjærstads Oslo-Büchern, beispielsweise von "Homo Falsus" 
          (1984) und "Rand" (1990).
 
 Kim Småge war die erste Frau, die 
          sich 1983 mit ihrem Erstlingswerk "Nachttauchen" unter diesen Männerchor 
          mischte und dabei Stoff und Stil aus einer bewusst weiblichen Perspektive 
          wählte. Danach kam sie mit Geschichten aus Trondheim und Mittelnorwegen 
          heraus. Aber erst in den neunziger Jahren kann man von einer Autorinnenwelle 
          sprechen.
 
 Anne Holt, Pernille 
            Rygg und Kjersti Scheen 
          wenden einen Kunstgriff an, der international im Trend liegt: eine Heldin 
          beziehungsweise eine Detektivin. Unni 
            Lindell und Karin Fossum halten 
          an männlichen Hauptpersonen fest. Fossums Romane über Kommissar 
          Konrad Sejer bekamen sehr gute Kritiken, in denen die Autorin mit den 
          größten britischen Krimiköniginnen verglichen wird.
 
        Man hört manchmal, neuere norwegische Kriminalromane erinnerten an "moderne Heimatdichtung", weil sie so ortsgebunden seien, besonders an Oslo, Bergen und Trondheim. Dank dem Lokalkolorit wirkt das eigentlich importierte Genre sehr, sehr norwegisch. Und die reale wirtschaftliche Lage der 80er Jahre bildet den glaubwürdigen Hintergrund für die äußerst dramatischen Intrigen. Einige Verfasser bestreben sich außerdem, mit Hilfe des "geliehenen" Rahmens ein ehrgeizigeres episches Projekt zu gestalten. In der Debatte modernistischer kontra traditioneller Romanformen hat die Krimiform die Funktion eines Freiraums.
 Diese Tendenz machte sich im Lauf der 1990er Jahre verstärkt geltend: 
        Der Gattung der Kriminalgeschichten wird noch mehr Aufmerksamkeit zuteil, 
        auch weil seriöse Verfasser sie als Formel verwenden, entweder ganz 
        ernst oder - wie Torgeir Schjerven in seinem hochgepriesenen "Omvei til 
        Venus" (1994; Umweg zu Venus) als Parodie und Persiflage à la Paul 
        Auster und Twin Peaks.
 
 Andererseits ist auffällig, wie viele sich vom traditionell epischen, 
        realistischen, psychologisch orientierten norwegischen Roman entfernt 
        und auf das Phantastische, Nichtrealistische zubewegt haben.
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