"Ich  weiß, in Familiengeschichten gibt's eine Menge Sachen, die einfach nicht  stimmen. Bei jeder Familie. Die Geschichten werden überliefert, und die  Wahrheit wird übergangen, wie's so schön heißt. Mancher wird das wohl so  verstehen, dass die Wahrheit nicht konkurrenzfähig ist. Aber das, glaub ich  nicht. Ich glaube, wenn die Lügen alle erzählt und vergessen sind, wird die  Wahrheit immer noch da sein. Die bewegt sich nicht von Ort zu Ort und ändert  sich auch nicht von Zeit zu Zeit. Man kann sie genauso wenig verdrehen, wie man  Salz salzen kann. Mann kann sie nicht verdrehen, weil sie nun mal so ist, wie  sie ist. Eben das, was man mit dem Wort meint. Irgendwo wird sie mit dem Fels  verglichen - vielleicht in der Bibel -, und damit bin ich durchaus  einverstanden. Aber sie wird noch da sein, wenn der Fels längst verschwunden  ist. Bestimmt gibt's Leute, die anderer Meinung sind. Sogar eine ganze Menge.  Aber ich bin nie dahintergekommen, was die dann eigentlich glauben." (Cormac McCarthy "Kein Land für alte Männer" Rowohlt Verlag)
            
          Auch in dem neuen Kriminalroman von Mari Jungstedt  "Im Dunkeln der Tod" tragen viele Personen solche Familiengeheimnisse  mit sich herum. So steht zum Beispiel Egon Wallin, Kunsthändler in der  bedeutendsten Galerie von Visby vor einer bedeutsamen Entscheidung. Nachdem er  fünfundzwanzig Jahre Kunsthändler war, eine stabile Ehe geführt hat, zwei  Kinder großgezogen hat, war sein Dasein nun eingefahren. Er plante ein neues  Leben. Die Galerie hatte er bereits verkauft und er wollte nur noch eine  Ausstellung durchführen, bevor er mit seinem neuen Leben beginnen würde. Seine  Familie wußte davon nichts. Doch bevor Egon Wallin sein neues Leben beginnen  konnte, wurde er auf pittoreske und makabere Art und Weise ermordet  aufgefunden.
            
            Visby, Hauptstadt und Hafen der schwedischen Insel  Gotland, liegt an der Westküste Gotlands. Die mittelalterliche Altstadt wird  von einer beeindruckenden fast vollständig erhaltenen Stadtmauer umgeben. In die  Altstadt führen verschiedene Tore. Eines davon ist das Dalmansport. Und in diesem  Tor hing Egon Wallin. Aufgeknüpft an einem Gitter oberhalb der Toröffnung. Dem  Fallgitter, das in alten Zeiten herabgelassen worden war, wenn der Feind  anrückte. Dies war das Ende von Egon Wallins Zukunftsplänen. Doch wer war der  Mörder? Das es Selbstmord war konnte schnell ausgeschlossen werden, da es  unmöglich war, sich an dieser Stelle selbst zu erhängen. Die Polizei von Visby mit  Kriminalkommissar Anders Knutas, Karin Jacobsson und dem Techniker Erik Sohlman  nehmen die Ermittlungen auf.  Und da  dieser Todesfall natürlich in den Medien für Furore sorgt, ist der Journalist  Johan Berg wieder auf Gotland anzutreffen. Dort ist ja ebenfalls seine Freundin  Emma mit ihrem gemeinsamen Kind.
            
            
            Sehr bald haben die ermittelnden Beamten mehrere  Spuren. Zum einen wird bald bekannt, dass die Ehefrau von Egon Wallin ein  Verhältnis mit einem Nachbarn hatte, zum anderen werden gestohlene Bilder im Keller  des Kunsthändlers entdeckt. Egon Wallin war also in landesweite Kunstdiebstähle  verwickelt gewesen, zumindest hatte er als Hehler fungiert. Dieser Mann trug  viele Geheimnisse mit sich herum. Mit wem wollte Egon Wallin ein neues Leben  anfangen und was haben der Künstler Mattis Kalvalis, sein Agent und der  Stockholmer Kunsthändler Sixten Dahl mit dem Tod von Wallin zu tun? Als dann  noch der Kunstsachverständige Erik Mattson ins Spiel kommt, scheint sich alles  um Kunst und Kunstdiebstahl zu drehen.
            
            Da passiert ein Einbruch im Museum Valdemarsudde      in Stockholm. Gestohlen wird das Gemälde "Der sterbende Dandy"      von Nils Dardel. Der Täter hinterließ eine kleine Skulptur am Tatort. Diese      Skulptur stammt aus der Galerie von Wallin in Visby und wurde dort am Tag      des Mordes gestohlen. Hat der Einbruch etwas mit dem Mord an dem Kunsthändler      Wallin zu tun? Und was hat es zu bedeuten, dass Nils Dardel einige Jahre in      der Künstlervilla Muramaris verbracht hatte?  Dies  ist ein nennenswerter Aspekt dieses Buches. Der Leser bekommt sehr viel über  die Kunst und die Kunstgeschichte Schwedens zu Beginn des zwanzigsten  Jahrhundert vermittelt. Ein Maler, der in diesem Kriminalroman eine wichtige Rolle  spielt ist Nils Dardel (1888 - 1943), der ein Mitglied der Künstlergruppe  "Die Männer von 1909" war. Nils Dardel entwickelte einen eleganten  Naivismus. Sein Leben und sein Werk, vor allem sein Bild "Sterbende  Dandy", bilden die Hintergrundmatrix dieses Buches. Erik hielt Dardel für  einen Idealisten, aber auch für einen komplizierten, vielschichtigen und in  vieler Hinsicht tragischen Menschen auf der Flucht vor sich selbst. Die real  existierende Künstlervilla Muramaris nahe bei Visby spielt ebenfalls eine Rolle  in dieser Geschichte. Vor allem Erik Mattson ist auf dieses Leben des Bohemien  Nils Dardel fixiert. Mattson hatte zwei Leben. Ein soziales Leben mit vielen  Freunden, seinem Beruf als angesehener und geschätzter Sachverständiger und als  geschiedener Mann. Sein zweites Leben sah ganz anders aus, geheim, düster und  destruktiv. Mattson war ebenfalls ein Mann mit Geheimnissen. Und noch einen  Mann mit Geheimnissen gibt es in diesem Buch. Hugo Malmberg, Galerist in  Stockholm und auch sein Leben sollte auf sehr makabere Weise enden. Was verbindet  diese beiden Menschen? Außer ihrem Beruf. Warum mußten sie sterben?
            
            Natürlich werden in diesem Buch auch die Geschichten  um Emma und Johan und ihre gemeinsame Tochter Elin fortgeschrieben. Johan macht  Emma einen Heiratsantrag, den Emma nach einigem Zögern annimmt und alles  scheint gut zu werden. Aber da kommt der Mörder ins Spiel und beide stehen vor  großen Herausforderungen und die gemeinsame Zukunft ist wieder sehr ungewiss. Auch  die Kriminalinspektorin Karin Jacobsson hat ihre Geheimnisse. Als sie Knutas  verkündet, dass sie einen Job in der Stockholmer Polizei annehmen wird, ist  dieser völlig verzweifelt. So bleibt auch diese Beziehung spannend. Aber dies  sind nur Nebenerzählungen, die mit der eigentlichen Geschichte nicht sehr viel  zu tun haben. Ja manchmal erscheinen sie auch etwas erzwungen, so wie die Handlung  um Johan und Emma. Im Grunde ist es ein Kriminalroman über alte Familiengeschichten,  unausgesprochene Wahrheiten und tiefe seelische Verletzungen, die eines Tages zum  Ausbruch kommen und ihre Folgen haben. Tödliche Folgen für einige.
            
            "Zwei Sekunden. Mehr war nicht nötig, um ihn  zu zerstören. Um sein Leben in Fetzen zu reißen. Zwei jämmerliche Sekunden."
            
            
Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
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