|  "Fräulein 
          Smillas Gespür für Schnee" von Peter Høeg
Peter Høeg ist wohl derzeit der international 
          bekannteste dänische Schriftsteller. Diesen Status hat er vor allem 
          seiner "Fräulein Smilla" zu verdanken, die in viele Sprachen 
          übersetzt und mit Julia Ormond in der Titelrolle kongenial verfilmt 
          wurde.
 Høeg hat, das wird in mehreren seiner Werke deutlich, eine Vorliebe 
          für Außenseiter, für heim- und heimatlose, beziehungsgestörte 
          und verletzte Menschen (etwas ganz ähnliches läßt er 
          an einer Stelle auch seine "Smilla" sagen). Er nutzt ihre 
          Perspektive, um die Gesellschaft quasi "von außen" zu 
          betrachten (was wiederum die Hauptfigur eines anderen Romans, "De 
          Måske Egnede / Der Plan von der Abschaffung des Dunkels", 
          ebenfalls in fast diesen Worten ausdrückt: Die anderen sind "drinnen", 
          tun sich leicht, wir sind "draussen" und müssen täglich 
          kämpfen). Die Zivilisations- und Gesellschaftskritik, die seine 
          Werke kennzeichnet, fußt auf dieser Sichweise.
 
 Høegs Haupt- und oft auch Nebenpersonen sind verwaist, verhaltensauffällig, 
          schwerhörig, sprachgestört, gekrümmt, suchtkrank oder 
          sonstwie bereits von Ihrer Vergangenheit gezeichnet, wenn sie zum ersten 
          Mal auftreten. Und auch nachdem sich der Autor sich ihrer annimmt und 
          beginnt, sie durch seine Handlung zu führen, ist er erbarmungslos 
          mit ihnen: Sie werden gejagt, bedroht, geschlagen, vergewaltigt, eingesperrt, 
          verraten, vertrieben, ihre Knochen gebrochen, ihre Haare versengt, ihre 
          Pläne wieder und wieder vereitelt. Es ist kein Zuckerschlecken, 
          eine von Høegs Romanfiguren zu sein, und es schmerzt den Leser 
          manchmal geradezu, sie leiden zu sehen. Doch mit der Stärke, mit 
          der sie vergangene Verletzungen überwunden haben, werden sie auch 
          mit diesen Widrigkeiten fertig und gehen letztlich unbeirrbar ihren 
          Weg -- oft ohne genau zu wissen warum und wohin, einem inneren Drang 
          folgend und/oder vom Schicksal getrieben.
 
 Während die Verfilmung von "Smilla" nicht nur sehr gelungen, 
          sondern auch ungewöhnlich literaturnah ist, so lässt sich 
          der Roman selbst doch unmöglich auf die verfilmbare Handlung reduzieren. 
          Er gehört zu der Art literarischer Werke, die enorm vielschichtig 
          sind, so dass man sie auch mit Gewinn ein zweites und drittes Mal lesen 
          kann -- oder auch dann, wenn man die Haupthandlung bereits aus dem Film 
          kennt. Auch wenn "Smilla" in der Gestalt eines spannenden 
          Thrillers daherkommt, ist der Roman doch in erster Linie ein äußerst 
          packendes Charakterportrait der Hauptperson, Smilla.
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Smilla Qaavigaaq Jaspersen ist das Produkt einer denkbar ungewöhnlichen 
          Verbindung: Einer grönländischen Jägerin und eines dänischen 
          Stararztes, der eigentlich nur für eine medizinische Studie nach 
          Grönland gereist war. In Grönland geboren, verliert sie als 
          Kind ihre Mutter durch einen Jagdunfall und wird vom Vater nach Dänemark 
          geholt. Dieser dramatische, doppelte Riß in ihrer Biografie sowie 
          ihre Intelligenz bilden das Fundament, auf dem Smillas Charakter aufgebaut 
          ist.Mein Fazit: Ein Meisterwerk der obersten Klasse!
 Sie erzählt die Handlung in der ersten Person und in der Gegenwartsform; 
          der Leser ist so ihr ständiger Begleiter, ein Zuhörer ihrer 
          inneren Monologe. Ihre Sprache ist schnörkellos, direkt, hart, 
          besteht aus kurzen Sätzen. In dieser Weise schildert sie die Handlung 
          ebenso wie die (stets durch eine Assoziation mit der aktuellen Handlung 
          motivierten) kurzen Rückblenden in ihre Verganhenheit kühl 
          und fast distanziert, gelegentlich auch beißend sarkastisch ("In 
          seinem Büro hat man keinen Tennisplatz eingerichtet. Aber nicht 
          etwa, weil nicht genug Platz dafür da wäre."). Ihre Einschätzung 
          anderer Personen ist mit kristallklarem Blick zunächst auf das 
          Negative gerichtet -- gelegentlich auf eingebildetes Negatives (so meint 
          sie gleich auf der ersten Seite den mißbilligenden Blick einer 
          Person zu bemerken, die sich später als blind herausstellt). Erst 
          nach und nach kann sie mit einigen Menschen warm werden.
 
 Zu diesen Wenigen zählt, neben dem schweigsamen Mechaniker Peter 
          Føjl, der sechsjährige Esajas, der mit Smilla das Schicksal 
          teilt, als Halbwaise aus der Heimat Grönland gerissen worden zu 
          sein, und der nun mit seiner alkoholkranken Mutter in der Nachbarschaft 
          wohnt. Als der Junge eines Tages von einem Dach zu Tode stürzt, 
          entdeckt Smilla auffällige Ungereimtheiten und folgt deren Spur 
          unbeirrbar durch alle Gefahren, Widerstände und Anfeindungen bis 
          auf den Grund des unfaßbaren Geheimnisses ... das man freilich 
          schon kennt, wenn man den Film gesehen hat.
 
 Smillas Charakterportrait kann im Film dagegen nur ansatzweise durchschimmern, 
          ebenso wie die vielen anderen Ebenen des Romans. So erfährt man 
          beispielsweise viel über die Geschichte und Situation Grönlands 
          und die Lebensweise seiner Einwohner, aber auch über Glaziologie 
          (Schneekunde, Smillas Fachgebiet), über Schiffsbau, über Kakteen, 
          über die Biologie von Parasiten, über Kopenhagen, über 
          Mathematik ... und das alles mit dem ungetrübten Blick eines Menschen, 
          der nirgends wirklich dazugehört und alles eher von außen 
          betrachtet.
 
 Høeg weiss als Autor wirklich alles über die Welt, die er 
          schildert, und sucht sich mit sicherem Griff diejenigen Elemente aus, 
          die zu schildern notwendig sind für die Darstellung der Handlung, 
          der Person oder der Stimmung. Ist seiner Hauptperson eitel, weiss er 
          alles über Kleider und Mode und wo man welche herbekommt. Ist eine 
          andere passionierter Koch, kann er detailreich schildern, welche Speise 
          wie zubereitet wird und warum. Wird ein Frachtschiff gebraucht, dann 
          ist er in der Lage zu erklären, wie eine Reederei arbeitet, und 
          kann gegebenenfalls jede Spante und jede Niete beschreiben und ihre 
          Funktion erklären. Høegs Wissen und Fleiß verdienen 
          ebensoviel Bewunderung wie sein Talent als Autor, all dies zu schildern, 
          ohne dabei jemals langweilig zu werden.
 
 Diese Vielschichtigkeit ist es, die dieses Buch auch bei einer erneuten 
          Lektüre zum Vergnügen macht, bei der man immer wieder neue 
          Aspekte entdecken kann (von denen ich ohnehin sicher noch einige verpasst 
          habe, da dies mein erstes dänisches Buch war). Auch wenn Stil und 
          Thema natürlich gänzlich andere sind, gleicht "Smilla" 
          darin beispielsweise Ecos ähnlich facettenreich schillerndem Roman 
          "Der Name der Rose".
 
 Vielen Dank an Martin Hofer aus Regensburg - © 2006 dk-forum.de
 Das Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien 
          bedankt sich für die Veröffentlichungserlaubnis.
 | 
     
      | Schlicht genial "Fräulein 
          Smillas Gespür für Schnee" von Peter Høeg
Ich hab das Buch gelesen, lange bevor ich von seiner 
          Berühmtheit gehört habe, lange bevor es einen (belanglosen) 
          Film gab. Es hat mich erwischt wie ein Panzer, die Wucht, die Intelligenz, 
          die Konstruktion - das Buch ist schlicht genial. Seit dieser Zeit habe 
          ich das Buch mindestens 10 mal gelesen. Es wird jedesmal besser.Vielen Dank an Anja Bölicke aus Frankfurt/OderIch kann das Buch niemandem empfehlen, der stringente Handlungsentwicklungen 
          erwartet. Aber wer hat gesagt, daß sequentielles Erzählen 
          ein gutes Buch ausmacht?
 Ich kann das Buch niemandem empfehlen, der in einer Krimihandlung Mathematik 
          als störend empfindet. Aber wer hat gesagt, daß Einseitigkeit 
          interessant ist?
 Ich kann das Buch niemandem empfehlen, der Detaildarstellungen als gelegte 
          Spuren zur Auflösung des Geheimnisses verstanden wissen möchte. 
          Aber wer hat behauptet, daß ein Buch nicht durch eben diese Betrachtungen 
          zu seiner eigentlichen Größe findet darf?
 Das Buch ist für alle, die die Schönheit von reiner Mathematik 
          empfinden können, für alle, die intelligenten Zynismus schätzen 
          (Ihre Liebsten vielleicht ab und zu im Schein einer brennenden Katze 
          betrachten?), die schon Ihr Leben lang mit einer Rüstung durchs 
          Leben laufen und genau wie Smilla Schwierigkeit haben, das Visir zu 
          öffnen, für alle, die die wahre Liebe zu einem Kind erfahren 
          haben.
 Wie kann man sie nicht lieben, Smilla, diese rauhe Schönheit, die 
          in ihrem Innern menschlicher und mutiger ist als wir alle zusammen? 
          Natürlich ist sie eine Romangestalt - sie darf also ein bißchen 
          übermenschlich sein. Aber diese Welt wäre besser, wenn wir 
          alle ein bißchen mehr Smilla in uns hätten.
 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
 |