| Erste Woche Leseprobe
 1
  Erster Sonntag im MärzEr ist auf dem Weg. Der verdammte Orgasmus.
 Ich habe Ort und Zeit vergessen. Mich ganz der Macht der Lust hingegeben, 
          die von der Erinnerung an den schnittigen schwarzen Hengst und die heiße 
          Musik in den Nerven meines Körpers entfacht wurde. Hier sprühen 
          auch immer noch die züngelnden Flammen meines wunderbaren Feuerwassers 
          aus Tennessee Funken.
 
 Jetzt geht es nur noch darum, die Finger diesem harten, schnellen Rhythmus 
          anzupassen, der mich mitten in der Nacht unter den bunten, blinkenden 
          Lichtern völlig im Griff hatte. Wo ich vom Fieber der Triebe völlig 
          besessen abgezappelt habe, fühlte, wie der Schweiß in Strömen 
          zwischen den Brüsten, den Bauch und dann die Beine hinunterrann 
          und das dünne Shirt und den eng anliegenden Rock durchnässte.
 Um mich herum war alles voll von halb nackten Leuten, die wie huschende 
          Schatten, die ständig in Bewegung waren, in meinem Blickfeld auftauchten 
          und wieder verschwanden.
 Aber ich hatte nur Interesse an einem.
 Meinem Hengst. Meinem süßen, nächtlichen Spielzeug.
 Diesem kohlrabenschwarzen, hoch gewachsenen amerikanischen Hengst, der 
          erzählte, dass er hierher in das nördliche Reich der Kälte 
          gekommen sei, um einen rotbraunen Basketball zu tätscheln.
 Wahnsinn, wie fingerfertig er war!
 Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir, als hätte ich 
          ihn immer noch im Arm. Er konzentriert den Blick seiner teerschwarzen 
          Augen auf mich.
 Stark. Durchtrainiert. Und allzeit bereit.
 Presst sich an mich. Zeigt mit Taten, dass er auch mit anderen Dingen 
          als einem dämlichen Ball umgehen kann. Lässt mich seine Muskelknarre 
          spüren, die geladen bis zu seinem Nabel reicht.
 Langsam, Stella! Langsam!
 Ich will so weitermachen.
 Genau so.
 Will die Erregung so lange wie möglich genießen.
 Plötzlich beginnt die Musik in meinem Kopf aus dem Takt zu geraten. 
          Irgendetwas stört den tollen Beat.
 Irgendetwas, das eintönig, frech und nervig klingt.
 Unerträglich!
 Der wohlige Augenblick geht vorbei.
 Die anstachelnde Musik bekommt Schluckauf und stirbt langsam ganz aus. 
          Der schwarze Hengst versinkt wieder im Dunkel der Erinnerungen. Der 
          Orgasmus zieht sich in sein Versteck zurück.
 Alles nur, weil irgendein Idiot an meiner Haustür einen Veitstanz 
          aufführt. Drückt endlos auf die Klingel. Wieder und wieder 
          und wieder.
 Ich liege in Schweiß gebadet und keuchend unter meiner Bettdecke. Mit 
          klatschnassen Fingern.
 Versuche, das ständige Klingeln zu überhören. So zu tun, 
          als würde ich nichts hören. Als wäre ich nicht zu Hause. 
          Oder eben gestorben! Verschwunden!
 »Weiche von mir, Satan!«
 Aber es ist zu spät. Die erotikgeladene Stimmung ist vorbei. Die 
          Fata Morgana verschwunden.
 Es ist einfach wieder nur ein normaler Sonntag.
 Und ich bin alleine im Bett.
 Das Klingelmonster gibt nicht auf. Es scheint sich vorgenommen zu haben, 
          den ganzen Tag zu schellen. Oder bis ich aufgebe und die Treppe heruntertippele.
 Verdammter Sack!
 Schließlich halte ich diese Tortur nicht mehr aus.Rolle mich aus dem Bett. Fahre mit meinen Füßen wütend in 
          die weichen Pantoffeln. Streife mir den warmen Bademantel über. 
          Binde den Gürtel fest.
 Fahre mit den Fingern durch mein helles, langes Haar. Meinen Goldschatz. 
          Bevor ich ins Erdgeschoss flitze.
 »Was zum Teufel ist denn los?«, schreie ich kochend vor Wut in die Gegensprechanlage.
 »Entschuldige, aber ich muss umgehend mit dir sprechen.« Die Stimme 
          klingt gefasst. Wichtig.
 »Komm später.«
 »Leider kann mein Anliegen nicht warten, da mein Freund noch heute vor 
          Gericht erscheinen muss und er dich unbedingt vorher noch treffen muss.«
 »Sonntags?«
 »Ja, es ist so ein Fall. Würdest du bitte die Tür öffnen, 
          damit ich dich über die Vorkommnisse in Kenntnis setzen kann?«
 »Nein!«
 Er zögert einen Moment. Versucht dann einen anderen Weg zu meinem 
          Herzen.
 »Also, ich bin überzeugt davon, ähem, dass du großes Interesse 
          daran haben wirst, diesen Fall anzunehmen, sobald du gehört hast, 
          was ich dir zu unterbreiten habe.«
 »Geh nach Hause, schlafen!«
 »Außerdem muss erwähnt werden, dass ich dich nur darum bitte, deinen 
          Pflichten als Anwältin nachzukommen.«
 »Ich bin nur mir selbst gegenüber verpflichtet. Nicht irgendwelchen 
          verrückten Kerlen, die mich zu unchristlichen Zeiten sonntagmorgens 
          aus dem Bett schmeißen.«
 »Unchristliche Zeit? Es ist doch schon früher Nachmittag!«
 Früher Nachmittag?
 Ich gucke auf die Uhr. Es ist kurz vor zwei.
 Uff!
 Der Kerl hat mir sowieso schon den Tag versaut.
 Wahrscheinlich werde ich bis in den späten Abend hinein aufgedreht 
          und genervt sein. Wie immer, wenn ich nicht zu meinem Recht komme. Und 
          er ist an allem schuld.
 »Würdest du mich jetzt bitte hereinlassen?«, wiederholt das Klingelmännchen 
          standhaft.
 Er ist jünger, als ich erwartet habe. Wahrscheinlich Ende dreißig. 
          Schlank. Mit aschblondem Haar und ein paar traurigen Härchen, die 
          einen Schnauzer darstellen sollen.
 »Ich habe in den vergangenen zwei oder drei Stunden deine beiden Telefonnummern 
          abwechselnd angerufen, aber bekam immer die automatischen Ansagen«, 
          sagt er entschuldigend. »Aber weil die Sache nicht warten kann, musste 
          ich direkt zu dir fahren, obwohl es ein Feiertag ist.«
 Er zieht seinen dunklen Wintermantel aus. Sieht aus wie ein Amtsschimmel. 
          Aktentaschenträger. Bürokrat. Steckt in einem grauschwarzen 
          Anzug.
 Da erst nehme ich den Kragen wahr.
 »Bist du ein Pfarrer?«
 »Ja. Erlaube mir, mich vorzustellen, ich bin Pfarrer Gudleifur Augúst 
          Samsonarson. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, aber die 
          Sache ist wirklich dringend, und ich habe meinem Schwiegervater versprochen, 
          dass ich so lange versuchen würde, dich zu erreichen, bis ich mit 
          dir persönlich gesprochen habe.«
 Ich latsche an ihm vorbei.
 Gehe direkt in mein Büro, das im Parterre direkt vom Flur abgeht. 
          Setze mich in meinen schwarzen Chefsessel mit der hohen Lehne. Fixiere 
          ihn mit den Augen: »Setz dich!«
 Er nimmt auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. Trägt seinen Mantel 
          wie ein Baby.
 »Und wer ist also dein wichtiger Schwiegervater?«, schnauze ich ihn 
          an. »Der Typ da oben, oder was?«
 »Ich bin im Auftrag von Adalgrímur Sunndal hierher gekommen.«
 Was???
 Ich halte die Luft an. Ganz unbeabsichtigt. Vor Verwundung.
 Adalgrímur Sunndal sitzt auf einem der höchstdotierten Posten der 
          Verwaltung. War in den letzten fünfzehn Jahren oder so Richter 
          am Obersten Gericht.
 Warum wendet er sich an mich?
 Verwaltungsbonzen und Politikusse sind seine besten Freunde.
 »Du musst dich in der Tür geirrt haben«, sage ich nach einer Weile 
          Schweigen.
 »Ganz und gar nicht.«
 »In der Rechtsanwaltsszene gibt es mehr als genug schleimige Schmeichler, 
          die davon leben, solche Kerle aus banalen Schlammgruben zu retten. Das 
          ist nicht mein Ding.«
 »Adalgrímur braucht ganz dringend dich und niemand anderen.«
 »Warum?«
 Der Pfarrer tut sich plötzlich schwer, zum Kern der Sache vorzustoßen.
 »Ich bin, ähem, natürlich völlig überzeugt davon, 
          dass es sich hier um ein furchtbares Missverständnis handelt, aber 
          Adalgrímur ist tatsächlich gezwungen, heute Nachmittag vor Gericht 
          zu erscheinen. Soweit ich verstanden habe, ist beim Richter Untersuchungshaft 
          beantragt worden.«
 »Untersuchungshaft? Für den Richter des Obersten Gerichts persönlich? 
          Für was?«
 »Ihm wird ein völlig abwegiges Vergehen unterstellt.«
 Ich starre Pfarrer Gudleifur fest in die Augen: »Was für ein Verbrechen 
          hat er begangen?«
 Er wendet seinen Blick ab.
 »Soweit ich verstanden habe, ähem, verdächtigt die Polizei 
          ihn, dass er für den Tod einer jungen Frau verantwortlich ist«, 
          antwortet er schließlich.
 »Für einen Tod verantwortlich? Sprichst du über Mord?«
 Der Pfarrer zuckt im Stuhl zusammen, als er dieses Wort laut ausgesprochen 
          hört. Wie bei einem unerwarteten Hieb mit der Peitsche.
 »Ich denke, dass du das richtige Wort gefunden hast.«
 Ein Richter des Obersten Gerichts des Mordes verdächtigt?
 So ein Blödsinn!
 Pfarrer Gudleifur guckt mir wieder in meine starrenden Augen.
 »Ist das dein Ernst?«, frage ich.
 »Ja, leider.«
 Ich fühle, wie mein Blut wieder mit Hochgeschwindigkeit durch meinen 
          Körper rauscht.
 Atme ein paar Mal tief ein, bis ich mich wieder eingekriegt habe, und 
          wäge die Lage ab. Konzentriere mich dabei auf den Pfarrer, dem 
          es überhaupt nicht gelingt zu überspielen, wie unangenehm 
          ihm sein Auftrag ist.
 »Soweit mir bekannt ist, kennt Adalgrímur dich nur durch deine Arbeit 
          als Anwältin in verschiedenen Fällen«, fährt er fort. 
          »Aber genau deshalb will er von dir vertreten werden. In solchen Fällen 
          nämlich, ähem, glaubt er an dich, wie er wortwörtlich 
          gesagt hat.«
 Der Kerl sagt höchstwahrscheinlich die Wahrheit. Warum sollte ein 
          gesalbter Gottesmann mich verarschen?
 »Warte hier«, sage ich und stehe auf. »Ich muss mal kurz unter die Dusche 
          springen. Bin in einer Viertelstunde fertig. Okay?«
 Er nickt wie ein gehorsamer Junge.
 Ich flitze die Treppe hoch. Schmeiße meine feuchten Klamotten auf den 
          Fußboden im Badezimmer. Stelle die Dusche an. Springe unter den heißen 
          Strahl.
 Verteile den duftenden Seifenschaum auf dem ganzen Körper.
 Mit den Gedanken ganz woanders.
 Versuche mich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass auch ein Richter 
          am Obersten Gericht ein Mörder sein kann. So wie jeder andere.
 »Der Teufel macht keine Unterschiede.«
 Sagt Mama.
 
 2
 
 Was für 'ne Scheißkälte!
 Der Frostwinter hat Reykjavík fest im Griff. In den letzten Wochen haben 
          Schneestürme und eisige Windböen die Natur und menschliches 
          Leben außer Haus in Ketten gelegt.
 Fußgänger sind dick vermummt wie Gletscherforscher. Gehen gebeugt 
          dem Nordwind entgegen, als ob sie gegen einen unsichtbaren Feind ankämpfen 
          würden.
 Ich beeile mich, in den Wagen des Pfarrers einzusteigen. Lasse mich 
          zum neuen Spiegelpalast des Polizeipräsidenten am Strand kutschieren, 
          wo die Goldjungs Adalgrímur in Gewahrsam haben. Ich halte es für 
          relativ sicher, dass ich nach der feuchten und durchtanzten Nacht immer 
          noch einen zu hohen Alkoholpegel im Blut habe, um mich selber hinters 
          Steuer zu setzen. Habe längst damit aufgehört, solche dummen 
          Risiken einzugehen.
 Pfarrer Gudleifur ist ein Jeep-Fahrer. Trotzdem ist er übervorsichtig 
          im Reich des Winters. Scheint einen Megaschiss vor dem Glatteis zu haben, 
          das die hohen Minusgrade der letzten Woche überall in der Stadt 
          hinterlassen haben.
 »Was ist denn das für ein Herumgetrödel?«, frage ich barsch. 
          »Solltest du nicht auf göttliche Vorsehung vertrauen - im Verkehr 
          wie auch sonst?«
 »Ich, ähem, halte es immer für das Beste, vollste Vorsicht 
          auf den Straßen des Landes walten zu lassen, wie auch im Leben an sich.«
 »Ist es nicht möglich, diese Jeep-Kiste aufzuheizen?«
 Er stellt das Gebläse an, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. 
          Geschweige denn die Geschwindigkeit zu erhöhen.
 Ich finde mich langsam mit dem unerwarteten Ereignis ab, dass ein Richter 
          am höchsten Gericht des Mordes verdächtigt wird. Ich finde 
          es nicht mehr so unglaublich wie am Anfang.
 Diesem Gedanken folgen jedoch gemischte Gefühle.
 Natürlich habe ich Fälle am Obersten Gericht verloren und 
          die Richter in Grund und Boden verflucht, weil ich sie für blinde 
          Obrigkeitsdiener hielt. Trotzdem war ich irgendwie immer davon ausgegangen, 
          dass dieses höchste Gericht des Volkes über den Bodensatz 
          der Gesellschaft erhaben sei.
 Wie kindisch!
 Die Richter am Obersten Gericht sind natürlich genauso fehlbar 
          wie alle anderen. Und wenn ich im Vorhinein auf jemanden hätte 
          zeigen sollen, den ich am ehesten für einen richtigen Kriminellen 
          halten würde, wäre mir der Name Adalgrímur Sunndal mit Sicherheit 
          als Erstes eingefallen.
 Seine Karriere stand schon öfter auf der Kippe zum Unmoralischen.
 Zumindest den saftigen Geschichten zufolge, die einige Anwälte 
          schon seit Jahren durchkauen.
 Aber jetzt ist es das erste Mal, dass ich gehört habe, dass er 
          der Gewaltanwendung beschuldigt wird.
 Der Pfarrer scheint wenig über den eigentlichen Mordfall zu wissen. 
          Außer natürlich, dass der Schwiegervater völlig unschuldig 
          ist.
 »Adalgrímur hat mir in einem Telefonat am späten Vormittag erklärt, 
          dass dies völlig abwegige Anschuldigungen seien, und ich glaube 
          ihm voll und ganz, zumal er, ähem, ein friedfertiger Mensch ist«, 
          sagt Pfarrer Gudleifur und schaut ausdauernd nach links und rechts, 
          bevor er das Auto in einen dicht befahrenen Kreisverkehr manövriert. 
          »Ich habe auch keine Informationen über irgendein Beweismaterial 
          gegen ihn, allerdings fällt mir auch nichts ein, was das sein könnte.«
 Er behauptet, noch nicht einmal zu wissen, wer ermordet wurde, geschweige 
          denn wo. Also beginne ich, ihn über seine Beziehung zum obersten 
          Richter auszufragen.
 »Meine Frau, Sólveig, ist Adalgrímurs einzige Tochter«, antwortet er. 
          »Wir haben vor fünf Jahren geheiratet, und seitdem wohnen wir im 
          Pfarrhaus im Osten. Adalgrímur hat versucht, uns jeden Samstag zu besuchen.«
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   »Er alleine?«Vielen Dank an den btb Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.»Mein Schwiegervater hat seine Frau vor ein paar Jahren durch Krebs 
          verloren. Das war, ähem, ein großer Verlust für uns alle, 
          aber natürlich besonders für ihn.«
 »Wohnt er seitdem alleine?«
 »Ja, richtig. Aber er hat natürlich viele Freunde in der Stadt, 
          sowohl alte Schulfreunde als auch Mitarbeiter, die er während eines 
          langen Berufslebens kennen gelernt hat. Adalgrímur ist ein geselliger 
          und unterhaltsamer Mensch, und daher, ähem, ziemlich gefragt in 
          seinem Freundeskreis.«
 »Im Moment ist sein Typ allerdings nicht nur bei seinen Freunden gefragt, 
          wie mir scheint. Ansonsten klingst du wie der Vorsitzende seines Fanclubs.«
 »Ich werde diesen Mann immer schätzen, was auch passieren mag.«
 »Bist du so sicher? War es nicht einer von euren Knaben, der seinen 
          Herren drei Mal verriet?«
 Pfarrer Gudleifur stöhnt.
 »Ich bestreite nicht, dass wir alle unsere schwachen Stunden haben.«
 Auf dem Weg durch den langen Flur bei der Kripo gucke ich bei Raggi 
          rein. Er ist endlich auf dem Weg nach oben im Polizeiapparat. Ist Oberkommissar 
          geworden.
 
 Als ich ohne anzuklopfen seine Tür öffne, sitzt er am Computer 
          und versucht, mit zwei Fingern einen Bericht zu tippen.
 Sein vorgewölbter Bauch stößt an die Tischkante.
 Er hat, trotz immer neuer Versuche Gewicht zu verlieren, nicht abgenommen. 
          Andererseits werden seine Haare auf dem Kopf immer weniger.
 Raggi guckt ganz automatisch zur Seite, als ich hereinkomme. Glotzt 
          mich eine Sekunde an, aber ist in Gedanken ganz offensichtlich noch 
          beim Bericht.
 Sein Farbgeschmack ist auch nicht besser geworden.
 O je!
 »Hast du diese roten Hosenträger geschenkt bekommen?«, frage ich.
 Er wirft einen schnellen Blick auf seine Brust. Lehnt sich dann in seinem 
          Stuhl zurück. Guckt mich beleidigt an.
 »Sind sie nicht schick?«
 Ich schüttele den Kopf.
 »Mir ist ganz egal, was du findest«, fährt er fort und wedelt mich 
          mit der Hand weg von sich. »Lass mich in Ruhe.«
 »Raggi, Herzchen, glaubst du, ich bin hierher gekommen, um mich zu amüsieren? 
          Und dazu auch noch in dieser lausigen Gesellschaft? An einem Sonntag?«
 »Was willst du?«
 »Adalgrímur Sunndal treffen.«
 Zuerst ist er sprachlos. Dann lacht er lauthals.
 »Habe ich irgendwas Witziges gesagt?«
 »Du und Adalgrímur?« Raggi tut so, als wäre er empört. »Der 
          ist aber tief gesunken.«
 »Er will nur das Beste, Herzchen. Deshalb wendet er sich natürlich 
          an mich.«
 Ich erlaube Raggi, sich eine Weile zu amüsieren. Verlange dann 
          die Unterlagen des Falles. Und ein Gespräch mit Adalgrímur.
 »Wir sind noch dabei, die ersten Vernehmungsprotokolle einzugeben«, 
          sagt er. »Aber hier hast du schon mal die Fotos vom Tatort.«
 »Der sich wo befindet?«
 »Im neuen Haus des Obersten Gerichts, genau genommen in Adalgríms Büro 
          in der obersten Etage.«
 Das erste Foto wurde beinahe direkt über einem Mädchen aufgenommen, 
          das auf einem blau bezogenen Sofa auf dem Rücken liegt.
 Sie hat eine schwarze Lederjacke an, die vorne offen ist. Trägt 
          einen winzigen Slip. Einen Büstenhalter, der fast durchsichtig 
          ist. Und teure, hochhackige Schuhe. In Blutrot.
 Sie ist vermutlich Mitte zwanzig. Fachmännisch geschminkt. Mit 
          langem dunklen Haar. Hellrosa Lippen. Schönem Körper.
 Sexy.
 Die leblosen Augen sind geöffnet. Sie scheinen direkt in die Linse 
          zu starren.
 »Wie ist sie gestorben?«
 »Wir warten noch auf den vorläufigen Obduktionsbericht«, antwortet 
          Raggi, »aber alles weist darauf hin, dass sie mit einem Messer oder 
          ähnlichen scharfen Gegenstand in die Brust gestochen wurde. Du 
          siehst es besser auf den anderen Bildern.«
 Uff!
 Die Goldjungs haben Nahaufnahmen von den Verletzungen am Brustkorb gemacht. 
          Blut ist aus einer Stichwunde auf der linken Seite des Mädchens 
          gesprudelt. Ist erst auf das Sofapolster und von da aus auf den Fußboden 
          geflossen. Eine große, dunkle Blutlache befindet sich unter dem Sofa.
 »War die Mordwaffe am Tatort?«
 »Nein, wir suchen sie immer noch.«
 »Wer ist das Opfer?«
 »Sjöfn Saeunnardóttir. Sie soll als Schauspielerin und Tänzerin 
          gearbeitet haben, wie uns mitgeteilt wurde.«
 »Tänzerin?«
 »Ja, sie soll ab und zu mal mit der Säule gespielt haben.«
 »Welche Verbindungen hat sie zu Adalgrímur?«
 »Abgesehen davon, dass sie ermordet auf dem Sofa in seinem Büro 
          im Haus des Obersten Gerichts aufgefunden wurde?«, fragt Raggi und grinst.
 »Musst du so sarkastisch sein?«
 Raggi steht auf. Streckt sich. Schiebt dabei seine Wampe in die Luft.
 »Du bist doch hergekommen, um deinen Mandanten zu treffen, oder?«, sagt 
          er und watschelt lahm am Schreibtisch vorbei auf die Tür zu.
 »Dann frag ihn doch selber.«
 
 3
 
 Sie lassen mich im Gesprächszimmer warten.
 Die Goldjungs.
 Fast eine Viertelstunde.
 Nur um mich zu ärgern.
 Ich bin daran gewöhnt, Adalgrímur im Obersten Gericht thronen zu 
          sehen. Im meeresgrünen Kupferpalast am Arnarhól.
 Herausgeputzt in der königsblauen Robe der Macht.
 Überheblich auf seinem Podest.
 Und sein Fall war tief. Oder so ähnlich.
 Adalgrímur hat keine Robe an. Weder Sakko noch Krawatte.
 Trägt nur ein weißes Hemd, das er am Hals aufgeknöpft hat, 
          dunkle Hosen und glänzende schwarze Schuhe.
 Er ist kompakt gebaut, ohne direkt fett zu sein.
 Jetzt, wo er vor mir steht, statt gemütlich in seinem Richtersessel 
          zu sitzen, kommt er mir viel kleiner vor.
 Die grauen Strähnen im unbändigen Haar fallen auch stärker 
          auf als sonst. Und das Gesicht sieht geschwollen und müde aus.
 »Stella Blómkvist, wenn ich mich nicht irre«, sagt er und lächelt 
          schwach.
 Sein Sinn für Humor scheint jedenfalls noch in Ordnung zu sein.
 »Dies sind zweifellos ungewöhnliche Umstände für uns 
          beide«, fährt er fort und setzt sich an den einzigen Tisch im fensterlosen 
          Zimmer.
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