| Irgendwo im Nebel wohnt die Sucht "Höllenengel" 
          von Þráinn Bertelsson
 
 "Ich  weiß, dass die Wahrheit normalerweise so unglaublich ist, dass die Menschen  lieber die Lüge glauben. Ich könnte euch eine wahre Geschichte erzählen, die so  unwahrscheinlich ist, dass ihr sie nicht glauben würdet. Was keine Rolle spielt.  Die Geschichte ist gleich wahr, ob sie jemand glaubt oder nicht."
 
 Diese Sätze fallen am Ende des neuen Kriminalromans "Höllenengel"  von Þráínn  Bertelsson. Der Roman, der im  isländischen Original den Titel "Englar dauðans" trägt, bildet den  Abschluß einer Trilogie, die, laut Bertelsson, satirische Kriminalromane über  die isländische Gesellschaft während des Jahrtausendwechsels und dem Beginn des  neuen Milleniums sind. Die Kriminalromane beinhalten die drei gefährlichsten  Mißstände unserer modernen Gesellschaft: den Mißbrauch der Macht durch  skrupellose Geschäftsleute, schäbige Politiker und natürlich Drogen, welche die  westliche Welt aus fernen Ländern importiert. Die Geschichte in diesem Buch ist  blutig, archaisch und sehr düster.
            
             
            Víkingur Gunnarsson, Polizeidirektor im Großraum  Reykjavik, und Þórhildur Magnúsdóttir, Gerichtsmedizinerin und seine Ehefrau  befinden sich in Holland. Im Rotterdamer Hafen wurde ein männlicher Leichnam,  dem Kopf, Hände und Füße fehlen, gefunden. Der Torso ist verpackt in einer  Reisetasche. An der Leiche wurden Zeitungsreste entdeckt, die aus Island stammen.  Als Þórhildur erfuhr, dass möglicherweise eine Verbindung zu einer weiteren  männlichen Leiche bestehen könnte, die auf dem internationalen Flughafen  Schiphol aufbewahrt wurde, beschloss sie, nach Holland zu reisen. Denn ihr Sohn  Magnús war seit Wochen verschwunden. Sein letztes Lebenszeichen kam aus  Holland. Víkingur begleitet seine Frau, obwohl er nicht überzeugt ist, unter  den Toten seinen Stiefsohn zu finden.
             
            Zur gleichen Zeit stürmt eine Gruppe von drei  Männern ein geheimes Drogenlabor in Estland und richtet ein Blutbad an. Das  Amphetaminlabor wird niedergebrannt. Die Polizei findet auf dem Gelände sieben  Leichen. Noch während Víkingur und Þórhildur in Holland sind, wird die  isländische Polizei zum Þingvallavatn gerufen. Dort wurden, in einem Sommerhaus  drei übel zugerichtete Leichen gefunden. Víkingur und Þórhildur reisen sofort  nach Island zurück. Während der polizeilichen Ermittlungen stellt sich heraus,  dass alle drei Fälle zusammen hängen. Bei allen Leichen wurden merkwürdige  Zeichen, die alten Runen ähneln, gefunden. Hinter dem Amphetaminlabor stehen  isländische Geldgeber und die drei Toten sind polizeibekannte isländische  Kriminelle.
             
            Die isländischen Kriminalbeamten und Víkingur  versuchen, die Fäden in diesen Fällen zu entwirren. Wobei Víkingur durch seine  privaten Sorgen nur halbherzig an dem Fall mitarbeitet. Während er selbst  depressiv und von Tabletten abhängig ist, bricht bei seiner Frau der  Alkoholismus wieder aus. Bedingt durch Selbstvorwürfe wegen ihres Sohnes  Magnus, beginnt sie in Holland wieder zu trinken. Sie hatte immer das Gefühl,  ihm etwas schuldig zu sein. Víkingur versucht alles, sie wieder davon  abzubringen. Aber als sein Stiefsohn in einem Hotel in Reykjavik tot  aufgefunden wird, bricht Þórhildur zusammen. Sie nimmt Tabletten und fällt ins  Koma, aus dem sie nicht wieder erwacht und wenig später stirbt. Víkingur hatte  seinen Kampf mit der Depression und ihre Entschlossenheit, nicht mehr zu  trinken, immer gleichgesetzt. Aber er war auf Medikamente angewiesen, während  sie über sich selbst bestimmen konnte. Sie konnte mit dem Alkohol aufhören, er  konnte seine Medikamente nicht absetzten.
             
            Víkingur, der Theologie studiert hatte, antwortete  auf die Frage, ob er an die Sünde glauben würde, dass er nur noch an wenig  glaube, darunter sei nicht die Sünde. Aber er möchte daran glauben, dass die  Wahrheit die stärkste Kraft der Welt ist und dass wir alle tief in unserem  Inneren wissen, was die Wahrheit ist. Wahrheit ist für ihn Liebe. Aber die  Sucht ist stärker als die Liebe. Als er dies erfahren mußte war es zu spät. Er  hatte schon keinen Zugang mehr zu seiner Frau und mußte sich die Frage stellen,  wie zwei Menschen, die einander lieben, so ungeheuer einsam sein können. Am Schluß  fühlte er nur noch eine tiefsitzende Verlorenheit.Das Thema von "Höllenengel" sind Drogen. Drogenmißbrauch  und der Handel damit und was die Sucht, jede Sucht, mit den Menschen anstellt. Ein  Thema, das nicht nur auf Island beschränkt ist. Viele Familien verzweifeln  unter dem Leid, das durch eine Sucht verursacht wird, sei es Drogenabhängigkeit  oder Alkoholsucht. Es gibt keinen Flecken auf dieser Erde, wo man davor  sicher ist. Auch auf einer Insel wie Island nicht. Und die Gesellschaft? Einer  Gesellschaft, die im Zerfallen begriffen ist, hervorgerufen durch eine  Verschiebung der Werte. Familie, Freiheit, der Erhalt der Natur wird zerstört  zu Gunsten eines Reichtums durch Ausbeutung. Was kann man von so einer  Gesellschaft erwarten. Dass sie die Kinder und Jugendlichen schützt? Oder hat die  Gesellschaft schon aufgegeben. Diesen Kampf gegen die Drogen, die Kartelle und  allen, die dabei Geld verdienen. Ob es nun legale oder illegalen Drogen sind.  Kann man den Kampf, die Rache oder das Gesetz in die eigenen Hände nehmen?  Rache nehmen, nach dem alten biblischen Spruch "Auge um Auge, Zahn um  Zahn". Fragen, die dieser düstere Roman unter anderem stellt.
            
            Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen © Dezember 2010 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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      | „Walküren“ – (K)ein Island-Krimi "Walküren" 
          von Þráinn Bertelsson
 
 
          „Walküren“ mag auf Island spielen, doch beschäftigt  sich der Autor mit einer gesellschaftlichen Entwicklung, die auch hierzulande  zu beobachten istThráinn Bertelsson zeigt anhand des Mikrokosmos’  der isländischen Gesellschaft, wie Demokratie und Freiheit tagtäglich in den  Schaltstellen der Macht in Politik und Staat untergraben und wie Menschen- und  Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Die Krimihandlung dient ihm dabei dazu,  diese Phänomene transparent und international zugänglich zu machen.
 
 Es deutet sich im Titel und in den den einzelnen größeren  Abschnitten vorangestellten Zitaten an, dass es Thráinn Bertelsson in seinem  Kriminalroman „Walküren“ um mehr als um bloße Krimiunterhaltung geht, doch schreibt  er sich erst ganz allmählich in Rage, nimmt seinen Leser behutsam mit und führt  ihn langsam, fast so, dass man es kaum bemerkt, zu seinen eigentlichen Themen:  dem Machtmissbrauch der (isländischen) Politikerkaste, die schleichende Militarisierung  einer an und für sich friedlichen Außen- und Militärpolitik sowie der Gewalt  gegen Frauen. Bertelssons große Stärke liegt dabei darin, dass er nicht in den  verbitterten Tonfall von Altfeministinnen, nicht in den ideologieverblendeten  von Friedensaktivisten verfällt, sondern sowohl harte, klare Worte findet als  auch die satirische Spielart beherrscht, sodass das Lesevergnügen vor lauter  bedeutungsschwerer Themen nicht zu kurz kommt.
 Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter  Wie vielfältig sich die Gewalt gegen Frauen ausnimmt,  illustriert Bertelsson zum einen durch den Mord an der Frauenrechtlerin,  Journalistin und Autorin Freyja Hilmarsdóttir, zum anderen in einer  Parallelhandlung, die nur zu Beginn scheinbar nichts mit dem eigentlichen Krimiplot  zu tun, in der Sveinbjörn Ragnarsson die Polizei zum Narren hält, indem er  immer wirrer werdende Geschichten über das Verschwinden seiner Frau erzählt,  die er unzweifelhaft ermordet hat, sowie in den Eheproblemen, die Guðrún  Sólveig Hallsdóttir aus der technischen Abteilung der Polizei hat. Zumeist sind  die Frauen, auch in der isländischen Gesellschaft, noch die Opfer, doch nicht  nur. Guðrún wird zwar von ihrem Mann betrogen, doch ist es in der Folge sie,  die das Heft in die Hand nimmt und agiert statt nur zu reagieren oder stumm zu  dulden und zu leiden.  Das weibliche Alphatier  Mit Landespolizeichefin Elín Óskarsdóttir zeichnet Bertelsson  ein äußerst ambivalentes Frauenbild. Sie hat mit ihrem Posten innerhalb der  männlichen dominierten Polizeisphäre eine Machtposition erlangt. Ihre Gegner  werfen ihr vor, nur deshalb Landespolizeichefin geworden zu sein, weil sie die  Nichte des Parlamentarischen Geschäftsführers der Demokratischen Partei ist,  „den manche für den mächtigsten Mann Islands hielten.“ (Thráinn Bertelsson,  Walküren, dtv München, 2008: S. 161) Sie selbst hält sich natürlich für die  „qualifizierteste Bewerberin“ (ebd.). Der Leser muss selbst entscheiden, wem er  mehr Glauben schenkt. Es stellt sich aber im Verlauf der Geschichte heraus,  dass Elín nicht weniger machtbewusst und intrigant ist als ihre männlichen  Kollegen – die einzige Möglichkeit, in einer Männerwelt Karriere zu machen? Jedenfalls  zögert sie nicht, Informationen über den (legalen und privaten) Psychopharmakagebrauch  von Kommissar Víkingur zu ihren Gunsten zu nutzen, um Chefin einer neu zu  gründenden Sicherheitsabteilung zu werden. Víkingur lehnt diese Abteilung als  „Geheimdienst ohne Gesetzesgrundlage“ (S.276) und antidemokratisch (vgl. ebd.)  zwar ohnehin ab – zumal offen bleibt, „wer überwacht die Wächter?“ (S.277),  doch wird ja anhand der als privat anzusehenden Informationen darüber, welche  Medikamente der Kommissar einzunehmen hat, schon jetzt deutlich, wohin eine  solche Überwachung, die von niemandem kontrolliert wird, führen kann.  Eine Gesellschaft am Rande des moralischen Verfalls  Ganz ohne moralische Zweifel hält Elín es außerdem für  rechtens, dass sie einen Mitarbeiter ihrer Abteilung auf Freyja angesetzt  hatte, weil das von Freyja verfasste Enthüllungsbuch darüber, wie alte,  erfolgreiche, mächtige Männer sich ihrer Ehefrauen zugunsten jüngerer Frauen  entledigen, besagtes „Walküren“, ihrer Ansicht nach Dinge enthält, „die die  Staatsinteressen gefährden.“ (S.340) – Hier weiß der Leser längst, dass ihre  ureigensten Interessen gefährdet sind und dass es Elín um nichts geringeres als  – wenngleich modern durchgeführte – Zensur geht, „in einem Land, in dem  Meinungs- und Pressefreiheit in der Verfassung verankert sind“ (S.340). Bertelsson  zeigt die isländische Gesellschaft, die so stolz auf das älteste Parlament (der  westlichen Hemisphäre nach Christi Geburt) ist und deren Fundament sich auf  eine alte Gesetzgebung gründen, am Rande des moralischen Verfalls; als eine  Gesellschaft, die längst nicht mehr demokratisch regiert wird, sondern in der  es nur noch darum geht, „an den Spielregeln der Demokratie vorbeizulavieren“  (S.355) und eine Willkürherrschaft zu etablieren (vgl. ebd.).  Entlarvung sprachlicher Verharmlosungen  Mit dem Ex-Theologen und Kommissar Víkingur kreiert  Bertelsson seinen Anti-Helden, der den Verfall durchaus wahrnimmt, doch immer  noch an die tradierten Werte glaubt und aufrichtig und tapfer um deren  Einhaltung und Verteidigung kämpft. So lässt Bertelsson Víkingur beispielsweise  unmissverständlich feststellen, dass hinter der neuen Sicherheitsabteilung und  der Tatsache, dass Island, das eigentlich keine Armee besitzt, seine jungen  Männer nun zur militärischen Ausbildung nach Norwegen schickt, um den Frieden  in Afghanistan an der Seite der USA zu sichern, dieselbe Denkweise steckt (vgl.  S.275f), nämlich „(d)ie Denkweise, von der Notwendigkeit einer Friedenstruppe  und einer Sicherheitsabteilung zu reden, wenn es eigentlich um eine bewaffnete  Armee und einen Geheimdienst ohne Gesetzesgrundlage geht.“ (vgl. S. 276)  Die Demokratie wird ausgehöhlt – ein internationales Phänomen In dem – bevölkerungsmäßig gesehen – kleinen Island, in dem  jeder jeden kennt, sind solche von der politischen Kaste herbeigeführten  Änderungen, die an den Fundamenten der isländischen Gesellschaft rühren, von  existentieller Bedeutung für das Selbstverständnis dieser Gesellschaft, doch  fällt es leicht, in einer globalisierten Welt, diese Problematik auf  Deutschland und die Entsendung seiner „Friedenstruppen“ nach dem Zweiten  Weltkrieg zu übertragen. Oder auf Ausweitung der Rechte der polizeilichen  (Abhör-)Maßnahmen im Zuge der Anti-Terrordebatte. Das macht „Walküren“, wiewohl  es auf den ersten Blick im isländischen Mikrokosmos spielt, über den Inselstaat  am Rande Europas auch für ein breites Lesepublikum außerhalb Islands  interessant – und vielleicht ungewollt führt Bertelsson uns damit vor Augen,  wie abhängig und eng miteinander verbunden – im Guten wie im Schlechten – die  verschiedenen internationalen Gesellschaften heute längst sind. Machtmissbrauch  und euphemistische Umschreibungen, um Krieg im Namen einer „guten“ oder  „gerechten“ Sache zu rechtfertigen sind ein globales Phänomen – gut, dass  Bertelsson den Finger in die Wunde legt. 
                  Vielen Dank an Alexandra Hagenguth
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |  © September 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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      | Wer überwacht die Wächter? "Walküren" 
          von Þráinn Bertelsson
 
 "Walküren, Totenwählerinnen, in der  germanischen Mythologie im Dienste Wodans (Odins) stehende Jungfrauen, die in  der Schlacht gefallenen Einherier (vortreffliche Streiter) küßten und auf ihren  windschnellen Rossen nach Walhall in Asgard trugen, wo sie sich im täglichen  Kampfe zur Unterstützung der Götter bei der Götterdämmerung übten. Die  Einherier führten ein Leben in Üppigkeit. Ihnen wurden von den Walküren Speise  und Trank gereicht."
 Als Freyja Hilmarsdóttir tot in ihrem Auto in den  roten Hügeln von Rauðhólar gefunden wird, deutet alles auf Selbstmord hin. Ein Schlauch  führte vom Auspuff des Skoda ins Innere des Wagens. Den Spuren nach zu  urteilen, hätte es gar nicht eindeutiger sein können. Eine Kohlendioxidvergiftung  wie im Lehrbuch. Keine sichtbaren Verletzungen. Aber es gibt Merkwürdigkeiten.  So findet man keinerlei Hinweise von der Toten selbst. Keine Fingerabdrücke auf  dem Lenkrad, dem Schalthebel oder dem Armaturenbrett und auch nicht auf dem  Türgriff. Und keine Fingerabdrücke auf dem Schlauch. Obwohl die Frau keine  Handschuhe trug. Ein Abschiedsbrief fand sich auch nicht. Bei der Obduktion  stellte sich heraus, dass sich Freyja kurz vor ihrem Tod einer Augenoperation  unterzogen hatte, die es ihr unmöglich machte, allein an diesen Ort im Dunkeln  zu fahren. Und so nimmt die Kripo in Reyjavik die Ermittlungen auf. Doch wer  war Freyja Hilmarsdóttir? Was war sie für ein Mensch? Sie war Redakteurin, Journalistin,  Schriftstellerin und saß einmal für die Frauenpartei im Parlament, als  Ersatzabgeordnete. Freyja war Referentin für Frauenforschung, die sich stets in  der Frauenbewegung engagiert hatte. Sie war Feministin. Sie war radikal gewesen  in ihren Ansichten, starrsinnig und manchmal richtig diffamierend. Und sie  schrieb an einem Buch. Ein Buch über Frauen jenseits der vierzig, die beide von  ihren Ehemännern verlassen und entsorgt worden sind, weil diese sich was  Jüngeres gesucht haben. Das Interessante an diesem Buch ist, dass es sich bei  diesen Männern um bekannte Persönlichkeiten der isländischen Gesellschaft  handelt. Der eine ist Magnus Mìnus, der reichste Mann Islands, der andere  Kjartan A. Hansen, Botschafter und ehemaliger Finanzminister. Und dieses  Buchmanuskript ist verschwunden. Mitsamt ihrem Computer.
 
 "Freyja, Tochter des Vanen Niörd , die  mit ihrem Vater und mit ihrem Bruder Freyr, mit dem sie verheiratet war, nach  der Aussöhnung zwischen Vanen und Asen bei den Asen lebte, sich von Freyr  trennte und die Gemahlin Odins wurde. Sie galt damit als höchste der Asinnen  und besaß das Recht, neben ihrem Gemahl auf dem Hochsitz im Göttersaal zu  thronen. Freyja, die mit ihrem katzenbespannten Wagen durch die Lande fuhr,  galt als Göttin der Ehe und der Fruchtbarkeit und vertrat das mütterliche  Prinzip, das sie bei den Frauen besonders beliebt machte und zugleich die hohe  Stellung der Frauen bei den Germanen dokumentiert."
 
 Natürlich richtet sich der Verdacht der ermittelnden  Beamten auf diese beiden Männer. Beide hätten eine Veröffentlichung zu fürchten,  war Freyja doch für ihre offene und unverblümte Sprache bekannt. Viele Gerüchte  gibt es über dieses Skandalbuch und dessen Inhalt. Das Buch verspricht einen Einblick  zu geben hinter die Kulissen von Politik und Wirtschaft. Je mehr der  Hauptkommissar und Ex-Theologe Víkingur Gunnarsson und sein Team ermitteln, um  so mehr werden sie in die Ränkespiele der Politik verstrickt. Denn was hat es zu  bedeuten, dass zur gleichen Zeit die Landespolizeichefin Elín Óskarsdóttir  Ermittlungen gegen den Millionär Magnus Mìnus aufgenommen hat? Und was hat der  isländische Ministerpräsident mit diesen Ermittlungen zu tun? Aber es gibt auch  Machtspiele innerhalb des Polizeiapparates. Hier geht es um  Kompetenzstreitigkeiten und die Machtinteressen der Landespolizeichefin. Sie  träumt von einer Abteilung, einer Sicherheitsabteilung, die ohne rechtliche  Grundlage im Geheimen arbeitet und von niemandem kontrolliert wird. Und steht  dies nicht im Widerspruch mit den demokratischen Vorstellungen? Schließlich  meldet sich ein Erpresser bei Magnus Mìnus und Kjartan A. Hansen. Er nennt sich   Odin. Dieser Odin verlangt Geld, damit  das Buch nicht veröffentlicht wird.
 
 "Odin, bei den Westgermanen auch Wodan  genannt. Sohn von Bör und Bestla. Mit seiner Gemahlin Freyja zeugte er Baldur,  eine der lichtvollsten Gestalten des germanischen Götterhimmels. Odin, der  höchste Gott der Asen, der daher auch den Beinamen Allvater trug, weist eine  solch ungewöhnliche Fülle von Eigenschaften und Charakterzügen auf, dass er  sich als Gesamtgestalt nur schwer erfassen läßt. Er ist der oberste Lenker der  Schlachten, also ein Kriegsgott, nimmt aber, im Gegensatz zu Thor, nicht selbst  am Kampf teil. Er ist aber auch ein Gott der Ekstase, worauf sein Name, der mit  Erregung und Wut in Verbindung gebracht wird, hindeutet, ferner Totengott, der  als Walvater auf Sleipnir mit dem Speer Gungnir, einem seiner Hauptattribute,  diejenigen kennzeichnet, die auf dem Schlachtfeld fallen sollen und von den Walküren  nach Walhall gebracht werden."
 
 Þráinn Bertelsson's Buch läßt sich nicht nur auf  diese eine Handlung beschränken. Es gibt sicherlich zwei große Themen in diesem  Buch. Zum einen die Gewalt gegen Frauen. Symbolisiert in dem Charakter von Freyja,  in den Eheproblemen, die Guðrún Sólveig Hallsdóttir aus der technischen  Abteilung der Polizei und Kollegin von Víkingur, mit ihrem Mann hat und auch in  der Nebengeschichte über einen Ehemann, dessen Frau verschwunden ist, und der  abwechselnd behauptet, er habe die Leiche ins Meer geworfen, vergraben, in  einem Erdloch versteckt, oder aber vehement abstritt, irgendetwas über ihren  Verbleib zu wissen. Dieser Mann steckt voller Bosheit und Menschenverachtung, so  dass er die Geduld der Polizisten auf eine harte Probe stellt. Und so ist das eigentliche  Hauptthema dieses Buches die Stellung der Frau in der Gesellschaft und die  Gewalt, die gegen sie ausgeübt wird, in welcher Form auch immer. Das Auffinden der  Ehefrau benutzt Bertelsson, um mit der Amerikapolitik Islands hart abzurechnen.  Dies ist ein satirisches Glanzstück dieses Buches und das zweite Thema dieses Kriminalromans:  die isländische Gesellschaft und hier vor allem die Politiker und die von ihnen  gestaltete Politik. Sei es der Justizminister, der ehemalige Finanzminister  oder der isländische Ministerpräsident selbst. Sie alle werden unter die  satirische Lupe genommen. Bertelsson zeigt aber, dass diese Männer, so plump  oder hilflos sie auch agieren, die Macht besitzen. Und fällt einer dieser  Machtmenschen aus oder muß geopfert werden, so steht der nächste schon bereit.  Er zeigt auf, wie die Gesellschaft auseinanderfällt, nicht mehr Anteil nimmt am  Schicksal einzelner. So stirbt eine 17 Jahre alte Frau mitten in Reykjavik,  weil niemand sich um sie kümmert, als sie im Suff stürzt. So ist es kein  Wunder, dass der studierte Theologe und Hauptkommissar Víkingur an dieser Welt  verzweifelt und Psychopharmaka nimmt. Viele Themen werden angesprochen. Islands  Eintritt in die Allianz der Willigen, die Unterstützung für den Krieg Amerikas  gegen die Achse des Bösen, der Aufbau einer Friedenstruppe in einem Land ohne  Armee, die Denkweise, die dahinter steckt. Nämlich von einer Friedenstruppe zu  reden, wenn es eigentlich um eine bewaffnete Armee geht und von einer  Sicherheitsabteilung, wenn es um einen Geheimdienst ohne Gesetzesgrundlage geht.  Und um politischen Einfluß auf polizeiliche Ermittlungen.
 
 "Odin gilt andererseits als Gott der  Weisheit und der Dichtkunst, der auch die Runen erfand. Dazu verhalf ihm ein  Trunk aus der von Mimir bewachten Quelle, deren Wasser Erkenntnis und Weisheit  vermittelte, für welchen Trunk der Gott allerdings eines seiner Augen opfern  mußte. Odin mal von grimmiger, mal von gütiger Wesensart, ist ein Meister der  Verwandlung, wobei er Tiere wie Schlangen oder Raben bevorzugte. Häufig  schweift er mit Schlapphut und mit Sternen besätem Mantel durch die Welt, um  diese zu ordnen und bei den Menschen Einkehr zu halten, um sie auf ihre  Gastfreundschaft zu überprüfen. Oft sitzt er auch auf dem ihm in der  Götterhalle zustehenden Thron, zu seinen Füßen die Wölfe Freki und Geri, auf  seinen Schultern die Raben Munin und Hugin, die ihm alles berichten, was in der  Welt geschieht. Trotz der Fülle seiner Macht war der oberste der Asen wie alle  anderen Götter nicht unsterblich und dem Schicksal unterworfen. Das ihm  zugedachte Ende kam mit der Götterdämmerung, als der Fenriswolf ihn verschlang.  Sein Sturz war endgültig, denn von seiner Wiederkehr nach dem Entstehen eines  neuen Himmels und einer neuen Erde ist im Mythos nicht die Rede."
 
 Dieser Kriminalroman bietet großartige Unterhaltung  und ist ein aufregender Kriminalroman. Þráinn Bertelsson besitzt einen großartigen  satirischen Humor. Dieses Buch ist nicht nur spannend, sondern auch mit funkelndem  Witz geschrieben. Es ist eine äußerst unterhaltsame Reflexion der isländischen Gesellschaft  im Mantel eines hervorragenden Kriminalromans.
 
 Zitate aus: Germanische und  keltische Mythologie - Herder Lexikon
 
 Vielen Dank an Jürgen Ruckh aus Esslingen
 © April 2008 Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
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