|  Leseprobe
Es war eine der schönsten Nächte gleich nach Mittsommer, ich 
        stand an der Ecke am Schlosspark, als das Taxi mit erleuchtetem Schild 
        auf dem Dach um die Kurve kam.Eine Amsel sang im Grünen, es war eine dieser Nächte, nach denen 
        wir uns den langen, kalten Winter über sehnen; ich war verlockt, 
        durch den Park hinunter zum Zentrum zu gehen, nur um noch eine halbe Stunde 
        an der frischen Luft zu sein, doch es war schon spät genug.
 Im letzten Moment hob ich den Arm, und der Wagen fuhr an die Seite. Ich 
        öffnete die Tür und sagte Hallo, der Fahrer sagte nichts, antwortete 
        nur mit einem kurzen Nicken. Ich setzte mich nach hinten und hatte auf 
        einmal das Gefühl, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte.
 Ich sollte lieber wieder aussteigen und mir ein anderes Taxi nehmen, eines, 
        das nicht einfach vorbeigefahren kam, sondern an einem Halteplatz stand.
 Und was sollte ich dann sagen?
 "Sie geben mir ein ungutes Gefühl, ich möchte nicht mit 
        Ihnen fahren." Das war zu albern, zu hysterisch. Als hätte ich 
        mich von all diesen Berichten über Piratentaxis und Vergewaltigungen 
        beeindrucken lassen. Zeitungsgeschmiere und Angstmache, auf solches Zeug
 hatte ich noch nie etwas gegeben. Ich war Schriftstellerin, ich wusste, 
        wie leicht es war, sich Geschichten einzubilden, und wie die Geschichten 
        sich verselbstständigen und ein Eigenleben entwickeln konnten. Gerade 
        deshalb durfte ich diese Art von Furcht bei mir nicht zulassen. Dieses 
        ganze Gezeter, die Stadt sei so unsicher und gefährlich geworden, 
        eine einzige große Gefahrenzone - ich weigerte mich, das an mich 
        heranzulassen. Manche meistern das Gebirge oder das Meer, andere meistern 
        die Stadt. Ich war eine Stadtmeisterin. Ich nahm mehrmals pro Woche ein 
        Taxi, und ich hatte noch nie Angst gehabt. Im Gegenteil. In dunklen Straßen 
        bedeutete das Taxischild Sicherheit. Jetzt war es nicht einmal dunkel.
 Ich nannte meine Adresse und reichte meine Kreditkarte nach vorne.
 Der Fahrer sagte noch immer nichts, er nahm nur die Karte und nickte. 
        Es war sein Schweigen, das mich stutzig machte. Nein, ich war schon stutzig 
        geworden, als ich die Wagentür öffnete, noch ehe er etwas sagen 
        konnte. Die meisten Taxifahrer drehen sich zu ihrem Fahrgast um, wenn 
        er die Tür öffnet und einsteigt. Dieser hier hatte nicht mal 
        ansatzweise den Kopf gewandt. Er saß da, als ob ...
 Als ob was?
 Als ob er nicht wollte, dass ich sein Gesicht sah.Nun aber mal halblang. Es gab unhöfliche Taxifahrer, und er war einer 
        davon. Oder vielleicht war er seit den Morgenstunden gefahren und einfach 
        nur müde und gereizt.
 Ich sah aus dem Autofenster. Ich hatte mehr und mehr auszusetzen an Norwegen, 
        dem reichen und eitlen Angeber-Norwegen, aber ich würde mich nie 
        daran satt sehen, wie schön Oslo im Sommer ist, so grün und 
        blühend, so hell und schimmernd die ganze Nacht hindurch. Immer noch 
        waren Leute auf den Straßen, auf dem Heimweg vom Restaurant oder 
        erst jetzt unterwegs in die Disco und zu Partys. Männer in bloßen 
        Hemdsärmeln und Frauen in kurzen Röcken. Wie gut ich diese Stadt 
        doch kannte, ich hatte mein Leben lang hier gewohnt, war durch jede noch 
        so winzige Seitenstraße gegangen. Mein kleines Oslo, das ich hebend 
        gerne hinter mir ließ und in das ich hebend gerne zurückkehrte; 
        sollte ich, die in andere Erdteile gereist war, in Kriegsgebiete, mich 
        davor fürchten, in meiner eigenen Stadt in ein Taxi zu steigen?
 Ich sank im Sitz zurück und gab mir alle Mühe, mich zu entspannen, 
        doch ich wurde mein Unbehagen nicht los. Ich wusste nicht, in was für 
        einem Auto ich saß. Ich hatte weder einen Führerschein noch 
        Ahnung von Automarken; Harald und ich machten manchmal Witze darüber, 
        dass ich vermutlich antworten würde "ein weißes", 
        falls jemand fragte, was für ein Auto wir besaßen. Mein Blick 
        glitt vom Taxameter zum Lenkrad, in der Mitte der Mercedes-Stern.
 Erleichterung flackerte durch meinen Körper. Ich saß in einem 
        schwarzen Mercedes. Alles war in Ordnung. Ich kam von der Arbeit und war 
        endlich auf dem Weg nach Hause. Bald würde ich die Haustür hinter 
        mir abschließen, ins Bad gehen, aus den Kleidern steigen, mich abschminken, 
        heiß duschen, mich abtrocknen und Bodylotion und Nachtcreme auftragen. 
        Dann würde ich Haralds großen Bademantel anziehen, der weicher 
        war als meiner. Ich würde in die Küche gehen und mir eine Tasse 
        Gute-Nacht-Tee brühen - Harald amüsierte sich immer darüber, 
        dass ich an die Wirkung glaubte - und während das Wasser kochte, 
        würde ich den Fernseher einschalten und das tun, was ich Harald immer 
        vorhielt: zappen um des Zappens willen. Dann würde ich mit der Tasse 
        Tee und einer Zeitschrift hinauf ins Schlafzimmer gehen. Dort würde 
        ich mir Kopfkissen in den Rücken stopfen und mir Modereportagen ansehen, 
        die nicht mal eine halbe Gehirnzelle in Anspruch nahmen, und dann endlich, 
        endlich würde ich unter die Bettdecke kriechen.
 Harald und die Mädchen waren am Morgen in die Sommerferien aufgebrochen. 
        Sie waren hoch in den Norden gefahren, nach Hause zu Haralds Eltern, zu 
        Oma und Opa. Ich würde heimkommen in ein leeres Haus. Das war meine 
        eigene Schuld. Ich hätte mitfahren können, wenn ich gewollt 
        hätte, aber ich hatte beschlossen, eine Schreibwoche einzulegen. 
        Eine Woche ging schnell vorbei. Tat sie nicht. Eine ganze Woche ohne Kinder, 
        das hatte ich mir seit zehn Jahren nicht erlaubt. Ich hatte es auch nicht 
        gewollt. Ich war nie länger als ein paar Tage übers Wochenende 
        von den Kindern getrennt gewesen. Es war unglaublich - ich, die erst jenseits 
        der dreiunddreißig das erste Kind bekommen hatte, ich, die Bücher 
        geschrieben und die Welt bereist und nicht mehr geglaubt hatte, in diesem 
        Leben noch Mutter zu werden, ich fühlte mich verlassen, sobald ich 
        eine Woche für mich selbst hatte.
 Das war vermutlich der Grund für meine Anspannung. Der Taxifahrer 
        schwieg nach wie vor. Er hatte auch keine Musik an. Ich blickte in den 
        Rückspiegel.
 Er drehte den Kopf so, dass sein Gesicht aus dem Spiegel verschwand.
 Da konnte doch etwas nicht stimmen.
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Nur die Ruhe. Bloß nicht reagieren wie diese Frauen, denen ich am 
          allerwenigsten ähneln wollte, die in jedem Mann einen potenziellen 
          Vergewaltiger sahen und hinter jedem Strauch einen Mörder vermuteten; 
          die ängstlichen, die sich nach Mitternacht kaum draußen aufzuhalten 
          wagten. So war ich nicht, ich fürchtete mich vor ganz anderen Dingen, 
          vor Männern hatte ich noch nie Angst gehabt.Vielen Dank an den Ehrenwirth Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis.Er hatte eine Jeansjacke an, blondierte Haare und einen Silberring in 
          einem Ohr. Er war sicher ein ganz normaler Typ, doch warum sagte er nichts? 
          Eigentlich sollte ich wohl froh sein, dass er den Mund hielt. Als gäbe 
          es nicht schon genug Schwätzer. Am allerschlimmsten waren Taxifahrer, 
          die sich zur Parodie ihrer selbst machten und darauf bestanden, vor ihren 
          Kunden ihre diversen Gesellschaftstheorien auszubreiten. Von ihm kamen 
          keine Gesellschaftstheorien. Wir fuhren an der Börse vorbei und an 
          den Kais entlang. Die Reihen der Container waren schön auf eine unästhetische 
          Art, oder unschön auf eine ästhetische.
 Tief im Körper spürte ich ein Vibrieren.
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