| Literaturportal schwedenkrimi.de:Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre ansieht, fällt 
                auf, dass es immer mehr bereits in der Belletristik etablierte 
                Autoren ins Krimigenre zieht: z.B. Theodor Kallifatides, Inger 
                Frimansson, Jan Arnald/Arne Dahl, Aino Trosell. Ganz zu schweigen 
                von der Dänin Greteliese Holm, die der Verlag regelrecht 
                dazu aufgefordert haben soll, einen "Frauenkrimi" zu 
                schreiben. Was steckt hinter diesem Trend: Sind es nur Profitmotive 
                oder ist die Belletristik tot?
 
 Karin Alvtegen:
 Nein, das glaube ich nicht, das glaube ich wirklich nicht, aber 
                die Kriminalliteratur hatte lange Zeit einen sehr schlechten Ruf. 
                Es gehörte nicht zum guten Ton, Krimis zu schreiben. Aber 
                jetzt hat sich das Genre als eigenständiges Genre Respekt 
                erworben, als ein Genre, das eigene Klasse besitzt. Das hat dazu 
                geführt, dass sich viele etablierte Schriftsteller diesem 
                Genre zugewandt haben und vielleicht auch erkannt haben, dass 
                es gar nicht so leicht ist, einen guten Krimi und einen guten 
                Roman zu schreiben. Denn ein guter Krimi ist ein guter, schönliterarischer 
                Roman plus, dass die Mordintrige hinzukommt und ihn zu einem guten, 
                spannenden Krimi macht.
 
 Maj Sjöwall:
 Also, ich muss ein Wort an erster Stelle nennen: Geld! Und dann 
                hat es damit zu tun, dass gewisse Bücher nicht mehr der Kultur 
                und Kunst zugeordnet werden, sondern den Massenmedien. Und dazu 
                gehört die Kriminalliteratur. Das muss sie nicht rein qualitativ 
                tun, aber vom rein kommerziellen Standpunkt aus gesehen, gehört 
                sie nun den Massenmedien oder der 'Volksliteratur'an. Dabei sind 
                die belletristischen Autoren momentan sehr ins Hintertreffen geraten. 
                Wenn man in eine Buchhandlung geht, ist es schon sehr schwierig, 
                überhaupt belletristische Schriftsteller zu finden. Man muss 
                erst stapelweise über Bücher von Marklund und Mankell 
                klettern, um irgendwo hinten Lyrik und Belletristik zu finden. 
                Literatur heute ist eine ganz andere Sache. Es wird weniger zwischen 
                Belletristik und Trivialliteratur unterschieden, als vielmehr 
                zwischen verkaufbaren und nicht-verkaufbaren Büchern. Da 
                ist es klar, dass sich einige Autoren der Belletristik auch dem 
                Krimigenre zuwenden.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Glauben Sie, dass die Krimiliteratur uns Antworten geben kann, 
                die uns die Belletristik nicht geben kann?
 
 Karin Alvtegen:
 Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass das eine Genre 
                besser ist als das andere. Sie sind beide einfach verschieden. 
                Ein gutes Buch ist ein gutes Buch, unabhängig vom Genre. 
                Aber ich habe ohnehin meine Schwierigkeiten mit diesen Kategorisierungen. 
                Auch in der Kriminalliteratur gibt es so viele verschiedene Typen 
                und Subgenres. Man muss nur die Bücher von mir und Maj nehmen. 
                Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass wir beide demselben Genre 
                angehören. Sie schreibt fantastische Polizeiromane und in 
                meinen Büchern kommen überhaupt keine Polizisten vor.
 
 Maj Sjöwall:
 Ich halte auch nichts davon, Bücher in Kategorien aufzuteilen. 
                Vielmehr geht es um den Menschen hinter dem Buch, um seinen Standpunkt 
                und seine Sicht auf die Welt.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Was denken Sie: Können von der Krimiliteratur Impulse für 
                einen Aufschwung auch in der Belletristik ausgehen?
 
 Karin Alvtegen:
 Ja. Im Augenblick ist es ja so, dass sich Bücher im allgemeinen 
                gut verkaufen. Vor ein paar Jahren noch sah das ganz anders aus. 
                Man dachte, das Buch sei 'tot'. Das ist es nicht. Im Gegenteil. 
                Und im Moment verkaufen sich auch Kriminalromane sehr gut. Dabei 
                spielt es vielleicht eine Rolle, dass die Leute eine breite Auswahl 
                an Genres und Typen von Büchern lesen wollen, und das kann 
                vielleicht auf die Belletristik überschwappen. Vielleicht 
                kann man durch das Interesse an Kriminalliteratur sozusagen durch 
                die Hintertür zur Belletristik kommen. Ich denke, alle in 
                der Buchbranche spüren, dass da draußen ein großes 
                Publikum an interessierten Lesern ist.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Was halten Sie persönlich vom Krimiboom der letzten Jahre?
 
 Karin Alvtegen:
 Das Merkwürdige ist, dass ich selbst gar nicht so viele Krimis 
                lese, und damit bin ich, wie ich weiß, in guter Gesellschaft. 
                Aber ich habe auch bemerkt, dass es eine regelrechte Krimiinflation 
                gibt, und nicht alle veröffentlichten Romane halten einer 
                gewissen Qualität stand. Dabei hat der skandinavische Krimi 
                ja einen guten Ruf. Man sagt ihm eine hohe Qualität nach, 
                und um dieses Niveau zu halten, muss man die wirklich guten Krimis 
                vielleicht schützen. Es dürfen dann nicht mehr so viele 
                Titel herausgegeben werden, nur um Geld zu verdienen. Die Leute 
                verlieren sonst bei so viel Mord und Totschlag auch das Interesse 
                an der Kriminalliteratur, und ich denke, dass es jetzt wirklich 
                darauf ankommt, die Qualität zu halten.
 
 Maj Sjöwall:
 Ich finde ganz einfach, dass aus rein kommerziellen Gründen 
                zu viele schlechte Bücher rausgegeben werden.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Werden denn eher die 'Mainstream-Schriftsteller' überleben 
                oder die 'Qualitäts-Schriftsteller' - Wobei die Frage ist, 
                wer ist was?
 
 Karin Alvtegen:
 Ich denke, dass die Autoren, die sich jetzt bereits etabliert 
                haben und einen großen Leserkreis ansprechen, auch weiterhin 
                dazu gehören werden. Sie haben eine eigene Sprache entwickelt 
                und halten ein bestimmtes Maß an Qualität. Ich habe 
                darüber auch schon mal mit Liza Marklund diskutiert. Interessant 
                ist, dass von den fünf Frauen, die Ende der 90er mit Krimis 
                auf dem Markt vertreten waren, nur Liza und ich übrig geblieben 
                sind. Dafür sind viele Neue hinzugekommen, die ich alle gar 
                nicht kenne, so wie es vor fünf, sechs Jahren noch war, als 
                ich mit dem Schreiben anfing.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Wie muss dann Ihrer Ansicht nach die schwedische Krimiliteratur 
                der nächsten Jahre aussehen? Wie muss sie sich entwickeln, 
                um sich weiterzuentwickeln?
 
 Maj Sjöwall:
 Momentan besteht die Gefahr der Abnutzung, weil so viele dasselbe 
                Muster benutzen. Was ich mich frage, ist, ob die Autoren Krimis 
                ungefähr so schreiben, wie man einen Kuchen backt: Man nimmt 
                so und so viel Zucker, so viele Eier... Ich finde aber, der Kriminalroman 
                muss einen bestimmten qualitativen Standard einhalten. Der massenmediale 
                Mensch muss endlich anfangen, sein Hirn für etwas anderes 
                zu gebrauchen. Diesen Gegensatz zwischen der Literaturform, wie 
                wir, mein Mann und ich, sie anwendeten und der Gegenwart ist eklatant. 
                Wir wollten die Form nutzen, um eine Gesellschaft zu beleuchten. 
                Heute werden Krimis wie am Fließband produziert. Das muss 
                sich ändern.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Was sind das, Ihrer Meinung nach, für Standards, die eingehalten 
                werden müssen, um aus einem Krimi einen guten Roman zu machen?
 
 Maj Sjöwall:
 Als Erstes muss der Autor ein guter Erzähler sein und in 
                einer guten Sprache erzählen können. Und das ist heutzutage 
                wirklich immer weniger der Fall. Die Ansprüche sind diesbezüglich 
                nicht mehr so hoch. Nur weil man einen Roman als Krimi etikettieren 
                kann, muss er noch lange nicht gut sein. Das erlebe ich auch in 
                meiner Arbeit als Übersetzerin. Da sage ich zum Verlag, dieses 
                Manuskript ist Scheiße und dann wird es doch veröffentlicht, 
                weil es als verkaufbar eingestuft wird.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was Karin 
                gesagt hat. Es ging darum, eine eigene Stimme zu entwickeln. Ich 
                muss da an Liselott Willén und ihren Roman "Stein 
                um Stein" denken, der den Geschichten von Ihnen, Karin, insofern 
                gleicht, als es auch keine Polizisten gibt oder das Buch dort 
                endet, wo eigentlich ein Polizist erst in Aktion treten sollte. 
                Ist das 'die neue Qualität'?
 
 
 
                  
 
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                    |  |  
 
                 Karin Alvtegen:Also, ich versuche in jedem Fall, stets etwas Eigenes und Neues 
                zu finden, um meinen eigenen Qualitätsansprüchen zu 
                genügen. Das ist auch wichtig, damit ich selbst die Lust 
                am Schreiben nicht verliere. Ich will ja auch niemanden nachahmen. 
                Ich versuche stets, meinen eigenen Weg zu finden. Ich glaube auch, 
                dass die Leute es sonst bald satt hätten, meine Bücher 
                zu lesen, wenn sie das Gefühl hätten, das schon mal 
                woanders gelesen zu haben.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Wie sehen Sie sich selbst als schwedische Krimischriftstellerinnen 
                im Vergleich zu Ihren Kollegen aus Großbritannien und den 
                USA?
 
 Karin Alvtegen:
 Uj, was für eine schwere Frage! (Lacht) Also, wie 
                ich schon sagte, seltsamerweise liest man als Krimischriftsteller 
                selbst ja gar nicht so viele Krimis. Ich laufe eigentlich nicht 
                herum und vergleiche mich mit anderen. Meine erste Identität 
                ist auch nicht Schriftstellerin, sondern Mutter und Lebenspartnerin. 
                Nein, das ist eine schwierige Frage! (Lacht)
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Dann fühlen Sie sich auch nicht unbedingt einer bestimmten 
                Tradition verpflichtet oder wollen gar bewusst mit ihr brechen?
 
 Karin Alvtegen:
 Nein, nein, überhaupt nicht. Es ist für mich nicht wichtig, 
                einem Autorenkollektiv anzugehören. Ich schreibe, weil es 
                Spaß macht und dann sollen die anderen damit machen, was 
                sie wollen.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Wie sieht dann Ihr Konzept des schwedischen Krimis aus? Welche 
                Ideen, welche Ziele verfolgen Sie?
 
 Karin Alvtegen:
 Ja, ein Ziel verfolge ich schon, obwohl ich wirklich sagen muss, 
                dass ich in erster Linie für mich selbst schreibe, dass ich 
                ungeheuer dankbar bin, dass ich dort sitzen und eine eigen Welt 
                schaffen darf. Aber ich muss auch sagen, dass ich mehr und mehr 
                Verantwortung spüre, denn meine Leser werden immer mehr und 
                sie stellen bestimmte Ansprüche an mich. Wenn man in einem 
                Genre schreibt, das meistens mit Mord, Tod und Elend zu tun hat, 
                dann, finde ich, habe ich auch die Verantwortung, meinen Lesern 
                dem noch etwas anderes entgegenzusetzen: Empathie, Respekt für 
                den Menschen und dass man sich den Konsequenzen seiner Handlungen 
                bewusst sein muss. Das ist ja mein zentrales Thema in "Der 
                Seitensprung". Ich verwende auch so wenig Blut und Gewalt 
                wie möglich. Gewalt ekelt mich. Es ist mein Ziel, die größtmögliche 
                Spannung ohne Gewalt und Blut zu schaffen. Es muss am Ende noch 
                einen Gedanken dahinter geben, ob der nun philosophisch oder was 
                auch immer ist. Ich will den Menschen etwas zu denken geben.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Und wie ist das für Sie, Maj, immer als das große Vorbild 
                zitiert zu werden?
 
 Maj Sjöwall:
 In Schweden ist das schon lange nicht mehr so. Ich bin in Vergessenheit 
                geraten. Jetzt ist Mankell das große Identifikationsobjekt 
                aller Autoren, die sich in einem Kollektiv in der schwedischen 
                Krimiakademie und ähnlichen Vereinigungen zusammengefunden 
                haben. Die haben jeden einzelnen Text von Sjöwall/Wahlöö 
                satt. Die wollen überhaupt nicht mit uns verglichen werden. 
                Das würde sie nur als altmodisch abstempeln.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Maj, Karin, vielen Dank für das Gespräch!
 
 
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                  |  |   
                  | Die Autorinnen im Gespräch mit unserer Redakteurin Alexandra 
                    Hagenguth
 Foto © Sebastian Bielke/ schwedenkrimi.de
 
 
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                  |  |   
                  | Die Autorin Karin Alvtegen
 Foto © Sebastian Bielke/ schwedenkrimi.de
 
 
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                  | Die Autorin Maj Sjöwall
 Foto © Sebastian Bielke/ schwedenkrimi.de
 
 
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                  |  |   
                  | Der Übersetzer Eckehard Schultz
 Foto © Sebastian Bielke/ schwedenkrimi.de
 
 
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