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          Vom windstillen Himmel schwebten die Schneeflocken auf den blutdurchtränkten 
          Schlamm hinab. Karri hielt das Messer unsicher umklammert und setzte 
          es am Rand der aufgeschnittenen Speiseröhre des Elchkalbs an. Er 
          hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen, aber 
          er ließ sich nichts anmerken. Das Blut, das auf die Erde rann, 
          sah in der zunehmenden Dämmerung fast schwarz aus.
          "Du musst die Klinge am Brustbein entlangführen", sagte 
          Launo mit heiserer Stimme und zog nervös an seiner Zigarette. "Schnell."
          Das Gesicht des Fünfzigjährigen war vor Anstrengung dunkelrot, 
          und seine Alkoholfahne roch man meterweit.
          Er hatte den Hals von der Spitze des Brustbeins bis zur Kehle bereits 
          aufgeschnitten, die großen Blutgefäße, die vom Herzen 
          ausgingen, durchtrennt und dabei das Blut in eine Flasche gefüllt, 
          um später daraus Pfannkuchen zu backen.
          
            
            
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          Nun zeigte er Karri, wie man die Haut aufschnitt: "Du musst den 
          Dickdarm abtrennen. Aber pass auf, dass du das Bratfleisch nicht mit 
          Scheiße versaust."
          Intuitiv sprachen sie leise. Der Darm in Karris Händen fühlte 
          sich an wie warme Luftballons. Die Rolle des Lehrjungen gefiel ihm nicht, 
          er war es gewohnt, selbst Anweisungen zu geben, nicht, sie zu befolgen. 
          Die verkehrte Konstellation spiegelte sich auch in ihrer Ausrüstung 
          wider: Karri trug wasserfeste Lederstiefel von Parkano, einen GoreTex-Anzug, 
          der nicht raschelte, und eine Jagdmütze von Halti; Launo gewöhnliche 
          Nokia-Gummistiefel, Lodenhosen, eine Jägerjacke und eine verschossene, 
          orangefarbene Wollmütze. Kopfbedeckungen in leuchtenden Farben 
          gehörten zur Hasenjagd, und auf der befanden sie sich offiziell. 
          Die orangefarbenen Elchwesten hatten sie zu Hause gelassen.
          Karri erschrak, als sich am Rande der Lichtung eine dunkle Gestalt näherte, 
          aber es war nur Tomi in seinem Tarnanzug aus festem, grünem Stoff. 
          Er hatte eine Grube ausgehoben, in der sie nun die inneren Organe und 
          Gedärme verscharrten. Das Herz schob Launo in eine Plastiktüte.
          "Tempo", drängelte Tomi, als Launo einen Knoten in das 
          dicke orangefarbene Nylonseil machte, das um den Hals des Kalbs geschlungen 
          war.
          Daran zogen sie den toten Körper durch das Preiselbeergestrüpp, 
          das von einer dünnen Schneeschicht überzogen war.
          "Wir lassen es hier liegen und holen das Auto", flüsterte 
          Tomi, als sie den Forstweg erreichten. Er war ein großgewachsener 
          Mann und strotzte nach dem erfolgreichen Abschuss nur so vor Aggression.
          "Auf keinen Fall", schnaubte Launo, der einen Kopf kleiner 
          war. "Was denkst du dir! Mit dem Wagen kommt mir keiner bis hierher."
          "Hört auf mit dem Gequatsche! Weiter!", befahl Karri.
          Launo räusperte sich geräuschvoll und spuckte aus. Sein fast 
          kugelförmiger Kopf und das ungepflegte Bartbüschel am Kinn 
          ließen ihn aussehen wie ein betrunkener Kobold. Karri fürchtete 
          plötzlich, der kleine Mann könnte vor Anstrengung einen Herzinfarkt 
          bekommen. Ihm fiel auf, dass Tomi zwar vor sich hin fluchte, aber darauf 
          verzichtete, weiter mit Launo zu streiten. Normalerweise kümmerte 
          sich Tomi nicht um die Meinung anderer, aber was die Wilderei betraf, 
          war Launo Kohonen ein alter Fuchs, dessen Ratschläge man besser 
          befolgte. Denn auf Wildern stand eine empfindliche Strafe. Karri gab 
          sich Mühe, nicht an die strafrechtlichen Folgen zu denken.
          Nachdem sie den Tierkörper hundert Meter vom Forstweg weggeschafft 
          hatten, war es bereits so dunkel, dass man ohne den schneeweißen 
          Schleier über dem Gelände nichts mehr gesehen hätte. 
          Im Wald war es still - fast so, als brächten die langsam herabschwebenden 
          Flocken auch den geringsten Ton zum Schweigen.
          Tomi ging den Wagen holen, und Launo zündete sich mit zittrigen 
          Fingern eine Zigarette an. Im Licht des Feuerzeugs bemerkte Karri, dass 
          Launos vorherige Röte einer unnatürlichen Blässe gewichen 
          war.
          
          "Alles in Ordnung?", fragte Karri leise.
          "Wieso?" Launo zog gierig an seiner Zigarette. "Ich hab 
          bloß einen kleinen Kater."
          Launos heisere, atemlose Stimme klang in Karris Ohren nicht sonderlich 
          überzeugend.
          Tomis alter Landcruiser näherte sich ohne Licht. Die Männer 
          luden das tote Tier in den mit Plastikfolie ausgelegten Kofferraum und 
          fuhren los.
          Der Schnee fiel nun dichter, die Scheibenwischer mussten dicke Flocken 
          von der Windschutzscheibe schaufeln. Karri sah Tomi an, dass der die 
          Herausforderung genoss, die ihm die schlechten Straßenverhältnisse 
          boten. Tomi fuhr schnell und sicher, er hatte das Fahrzeug fest unter 
          Kontrolle - so wie er immer alles unter Kontrolle haben wollte.
          Tomi sah Karri durch den Spiegel an und tippte sich an die Wange.
          "Was ist?", wollte Karri wissen.
          "Putz dir mal das Gesicht ab!"
          Karri wischte sich über die Wange. Dort war etwas Klebriges. Er 
          zog ein Papiertaschentuch heraus, spuckte hinein und rieb sich das Blut 
          ab.
          Sie kamen aus dem Wald heraus und bogen auf die unbefestigte Straße 
          ab, die zwischen brachliegenden Feldern zum Akka-Moor führte. Nach 
          einer kurzen Strecke bogen sie erneut ab, diesmal auf einen schmalen 
          Feldweg, an dessen Ende eine verfallene Scheune hinter einem Wäldchen 
          versteckt war. Seit Jahr und Tag wurde darin Heu aufbewahrt, aber als 
          Schlachtbank war sie ebenfalls gut geeignet.
          Die Männer zerrten den Tierkörper zum Enthäuten auf das 
          Holzgerüst, das sie auch bei der offiziellen Elchjagd mit der ganzen 
          Jagdgemeinschaft benutzten. Aufmerksam verfolgte Karri, wie Launo mit 
          sicherer Hand die Einschnitte über den Hufen setzte und das Tier 
          enthäutete. Die Glatze, die Launos runden Kopf zierte, glänzte 
          im Licht der zwei Maglite-Lampen, die auf dem Boden lagen. Nachdem die 
          Haut abgezogen war, trennte Launo den Kopf vom Rumpf und schnitt die 
          Lendenfilets von Darmbein und Roastbeef herunter. 
          "Verdammt
", stieß er heiser aus und spuckte auf 
          den Boden. Seine braunen Zahnstummel hoben sich krass vom kreidebleichen 
          Gesicht ab. 
          "Hast du Schmerzen in der Brust?", fragte Karri besorgt.
          Launo hielt ihm mit seinen nikotingelben Fingern das Filet vor die Nase 
          und flüsterte mit glänzenden Augen: "Wenn man das kurz 
          in die gusseiserne Pfanne legt und einen Schuss Madeira dazugibt, dann 
          hat auch der feine Herr aus dem Süden keinen Grund, sich zu beschweren. 
          Verdammt. Und ein bisschen Rosmarin drüber."
          Karri fühlte sich unangenehm berührt. Meinte Launo ihn? Trotzdem 
          musste er grinsen. Wie konnte ein langzeitarbeitsloser Alkoholiker so 
          ein gnadenloser kulinarischer Snob sein?
          Fein säuberlich schichtete Launo die Vorderkeulen, das Brustfleisch, 
          die Rückenfilets, die Hinterkeulen und die Haxen aufeinander. Das 
          noch warme, rote Fleisch schimmerte verheißungsvoll. Aber Karri 
          war nicht wegen des Fleisches hier, und erst recht nicht wegen des Geldes. 
          Er wollte Erfahrungen sammeln, er suchte nach der Herausforderung. Nach 
          etwas, das den ständigen Adrenalinausstoß kompensierte, an 
          den er sich an der Spitze seiner Firma gewöhnt hatte.
          Plötzlich setzte sich Launo auf den Boden und lehnte sich an die 
          Wand. Aus seinem Gesicht war noch die letzte Farbe gewichen.
          "Was ist los?", fragte Karri sofort.
          "Schon gut." Launo schloss kurz die Augen, dann öffnete 
          er sie wieder und stand schwerfällig auf. "Ich geh ein bisschen 
          Luft schnappen."
          Karri hielt die Scheunentür auf, und Launo trat an ihm vorbei ins 
          Freie. Der Zustand und das Verhalten des Mannes beunruhigten Karri. 
          
          Fast auf der Stelle flog die Tür erneut auf.
          Launo stand mit glasigem Blick und heftig atmend davor. "Kommt 
          her!", befahl er mit weißen Lippen.
          Karri warf einen Blick auf Tomi, dessen Augen sich verengten. Waren 
          sie überrascht worden?
          Launo ging vor Karri zu dem Holzstapel, der an der Scheunenwand aufgeschichtet 
          war. Große, schwere Schneeflocken segelten vom dunklen Himmel 
          in den Lichtkegel der Taschenlampe. Auf dem Stapel lagen ein Meter lange, 
          schon halb vermoderte Birkenscheite. Auf den untersten wuchsen Pilze. 
          Der Stapel reichte bis zur Ecke der Scheune. Und dort deutete Launo 
          mit zitterndem Finger hin.
          Hinter den Holzscheiten blitzte ein Schuh auf.
          Karri kniff die Augen zusammen. Launo spuckte zwanghaft aus.
          Tomi zerrte ein Stück Holz zur Seite.
          Unter den Birkenscheiten lag die Leiche. Man hatte der Frau in den Kopf 
          geschossen, und es sah aus, als wäre sie erst wenige Stunden zuvor 
          hier versteckt worden. Tomi musste an einem Baum Halt suchen.
          Karri schloss die Augen. Es drehte ihm den Magen um.
          Er kannte die Frau. Sie hieß Erja Yli-Honkila.
          
          Danke an den dtv Verlag für die Veröffentlichungserlaubnis. 
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