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                  | Åke Edwardson - Foto: Anders Deros |  |   
            |  |   Åke 
          Edwardson über Åke Edwardson
"Wie schreibt man über sich selbst? Und wie 
          bringt man elegant und bescheiden eher beiläufig all die großartigen 
          Dinge unter, die man im Leben erreicht hat, von der ersten Sekunde an, 
          als man ins Leben purzelte, mit Glückshaube, bereit, der Welt entgegenzutreten, 
          nein, sie in Staunen zu versetzen. Manche Leute sagen ja, daß 
          ein Baseballschläger genüge, um die Welt in Staunen zu versetzen. 
          Aber ich ziehe subtilere Methoden vor. Vielleicht kann man ja auch Worte 
          als Waffe einsetzen, wenn man weiß, wogegen man sie einsetzt und 
          warum. Ein Autor, der seine Arbeit ernstnimmt, ist immer polemisch, 
          aber Polemik muß bewußt eingesetzt werden.
 Das Ergebnis sollte Literatur sein und von Dritten auch als solche erkannt 
          werden können, darf also kein politisches Pamphlet sein. Als Autor 
          sollte man seinen Roman nicht dazu benutzen, einer politischen Meinung 
          Ausdruck zu verleihen. Das funktioniert nicht. Der Krimiautor trägt 
          vielleicht die größte Verantwortung von allen: jemand, der 
          über Gewalt und die Mechanismen von Gewalt, über die existentielle 
          und soziale Tristesse schreibt, ist verpflichtet, auch einen Hauch von 
          Empathie und Humanismus in sein Schreiben einfließen zu lassen. 
          Das ist wichtig, denn sonst vermitteln sich nur Kälte und Zynismus, 
          entsteht nur oberflächliche Unterhaltung, in der Gewalt und Tod 
          Dekoration sind, platte Action, die für eine Art wohligen Schauder 
          sorgt.
 
 Fragen Sie mich nicht nach meinem Lieblingsbuch unter meinen eigenen 
          Büchern. Das wäre ja so ähnlich wie eines seiner Kinder 
          lieber zu haben als die anderen. Meine Bücher sind so gut geworden, 
          wie sie es werden konnten zu der Zeit, als ich sie schrieb. Dabei hat 
          man als Autor vielleicht ein neues Werkzeug in die Hand bekommen, das 
          man bei der Arbeit am nächsten Buch verwenden kann. Was die Winter-Serie 
          angeht, so wollte ich Generationen-, Gesellschafts- und Kriminalromane 
          schreiben. Jedes Buch sollte in dem größeren Rahmen der Serie 
          gesehen werden. Zimmer Nummer 10 ist der siebte Teil, und ich plane 
          noch drei weitere Romane über Erik Winter und seine Unterwelt. 
          Was die Einschätzung dieses Romans angeht: ich arbeite immer eng 
          mit zwei Kommissaren zusammen. Sie behaupten, daß Zimmer Nummer 
          10 der bisher stärkste sei ... das sagen jedenfalls die beiden.
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |   Schreiben ist wichtig, und Fußball ist wichtig. Ich habe fast 
          zwanzig Jahre lang Fußball gespielt, aber schon ziemlich früh 
          erkannt, daß es auch noch etwas anderes im Leben gibt. Um den 
          Gipfel zu erreichen, muß man sich von so vielem verabschieden, 
          und dazu war ich nicht bereit. Ich war ein vielversprechender Spieler 
          und habe in der Jugendmannschaft mit Leuten zusammengespielt, die später 
          in die Nationalmannschaft aufstiegen und Profis wurden (auch in Deutschland). 
          Ich habe mich für eine andere Liga entschieden, aber niemals gegen 
          das Spielen. Ein Tor zu schießen, das ist das größte 
          Glück, unmittelbar und wunderbar intensiv! Als Journalist habe 
          ich viel über internationalen Fußball geschrieben und bin 
          Mitinhaber des schwedischen Fußballmagazins Offside. Lange vor 
          dem Start der letzten Weltmeisterschaft in Südkorea/Japan wurde 
          ich von einer großen deutschen Zeitung gefragt, welche Mannschaften 
          das Finale erreichen würden. Ich tippte auf Brasilien und - Deutschland. 
          Damals stand Ihre Mannschaft nicht hoch im Kurs, und man erklärte 
          mich fast für verrückt. Aber ich war ziemlich sicher, und 
          ... na ja, die Endrunde hat Deutschland erreicht. Ich lebe in zwei Welten, 
          in Göteborg und in Småland, also in der Großstadt und 
          auf dem Lande. Das ist in vielerlei Hinsicht wie eine Reise von Kontinent 
          zu Kontinent. Ich verbringe viel Zeit mit Radfahren auf den Schotterwegen 
          des Hochlands in Småland. Dabei kann man gut nachdenken. Von Haus 
          aus wurde mein Interesse für das Kochen geweckt. Ich koche oft 
          und gern. Was die Zutaten angeht, sind Göteborg und Småland 
          auch zwei Welten. In Göteborg gibt es den besten Fisch und die 
          besten Schalentiere der Welt, aber es ist fast unmöglich, ein anständiges 
          Kotelett zu bekommen. In Småland, in der Gegend, wo ich wohne, 
          gibt es phantastische Spezialitäten wie Bratwurst oder andere hausgemachte 
          Würste. Dort gibt es auch viele Pilze, vor allem Herbsttrompete 
          und Steinpilz, viele Beeren, und Freunde versorgen mich mit Elchfleisch 
          und Reh. Sie organisieren Safaris, und jeden Sommer kommen deutsche 
          Touristen, die nach Elchen Ausschau halten. Irgendwann einmal werde 
          ich darüber einen Roman schreiben.
 Mein Vater war Konditor. Er hat auch als Koch gearbeitet, unter anderem 
          auf Schiffen, die über die Meere kreuzten. Ich habe Fotos von ihm, 
          die ihn im Hafen von Bombay, Rio de Janeiro oder Kapstadt zeigen, und 
          ich wußte schon früh, daß ich auch reisen wollte. Seine 
          Backwaren füllten unsere Konditorei mit wunderbaren Düften, 
          und seine Mohnbrötchen, am frühen Morgen noch warm, mit Butter 
          und Käse aus der Region - davon träume ich noch heute. Er 
          interessierte sich auch für Literatur, kaufte russische Klassiker 
          in schönen Ledereinbänden, und ich habe sie als Jugendlicher 
          gelesen. Das hat mich natürlich beeinflußt. Immer wieder 
          greife ich nach Turgenjew und Gogol.
  Im Grunde genommen habe ich mich mein Leben lang mit 
          dem Schreiben beschäftigt, schon lange, bevor das sogenannte Erwachsenenleben 
          begann. Ich bin an verschiedenen kleinen Orten in Südschweden aufgewachsen, 
          überwiegend in Småland. Wir sind häufig umgezogen, weil 
          mein Vater als Konditor Rezepte sammeln mußte. Da blieb uns, meiner 
          Mutter, mir und drei kleinen Brüdern, nichts anderes übrig, 
          als ihm zu folgen. Als ich zehn war und wir in sieben, acht Orten in 
          der Einöde gewohnt hatten, alles gottvergessene Nester, kauften 
          meine Eltern eine heruntergewirtschaftete Konditorei mit Café 
          in einem damals noch kleinen Ort, richteten sie her und eröffneten 
          sie. Und dort sind wir dann geblieben. Es war ein eigenwilliges Leben. 
          Das Geschäft meiner Eltern hatte an sieben Tagen in der Woche von 
          sieben Uhr morgens bis zehn Uhr abends geöffnet. In den ersten 
          vier Jahren schlossen sie das Café nur an drei, vier Feiertagen. 
          Das brachte es mit sich, daß meine Brüder und ich sozusagen 
          in der Konditorei und dem Café aufwuchsen, dort aßen wir, 
          dort machten wir unsere Schularbeiten, spielten, halfen anfangs ein 
          wenig, später um so mehr. Nach ungefähr einem Jahr stellte 
          meine Mutter ein Kindermädchen ein, das sich zu Hause um uns kümmern 
          sollte, aber das ging total daneben. Dieses Mädchen kam aus Hylletofta, 
          einem Bauerndorf in den Wäldern, einige Kilometer von unserer Gemeinde 
          Vrigstad im småländischen Hochland entfernt. Vrigstad mit 
          seinen fünfzehnhundert Einwohnern, verglichen mit Hylletoftas zweihundert, 
          war für dieses Bauernmädchen die reinste big city. Abends 
          saß sie mit anderen Jugendlichen im Café. Meinen Brüdern 
          und mir war das nur Recht, sie konnte ohnehin nicht kochen. Das einzige, 
          woran sie sich versucht hat, waren Makkaroni in weißer Soße, 
          und die ließ sie anbrennen. Wer den Geruch von angebrannten Makkaroni 
          in weißer Sauce kennt, weiß, daß es fürchterlich 
          stinkt. Aus und vorbei für das Kindermädchen aus Hylletofta. 
          Im Café gab es drei Räume, und im hintersten stand unsere 
          Jukebox, eine Wurlitzer 2304 von 1957. Wenn die Schule nachmittags aus 
          war, verbrachte ich viel Zeit dort. Hier begegnete ich Elvis und später 
          den Beatles, Rolling Stones und Animals (meine Lieblingsband), den Hollies, 
          Byrds und Kinks ... die große Welt hielt Einzug in diesem kleinen 
          Caféraum in einem kleinen Ort oben am Nordpol, und ich glaube, 
          daß ich damals und dort Schriftsteller wurde oder wenigstens Journalist, 
          oder wenigstens jemand, der wußte, daß er das alles hinter 
          sich lassen und in die große Welt aufbrechen würde. Sie müssen 
          wissen, daß die wenigsten damals einen Plattenspieler besaßen, 
          sie kamen erst einige Jahre später auf, und das Radio brachte kaum 
          Popmusik. Also war ich einer der Ersten, dem all das Wunderbare begegnete. 
          Jeden Monat wartete ich auf den Jukebox-Mann, der neue Platten einlegte. 
          Die Musik kam zu mir wie Stimmen und Laute aus dem Weltraum, aus einer 
          anderen Ecke des Sonnensystems.
 Mit fünfzehn rief ich an der Kommunalen Realschule in Sävsjö 
          die Schülerzeitung Fack-Njus ins Leben. Sprechen Sie den Namen 
          laut und Sie wissen, was er bedeutet. Ich war also ein wütender 
          junger Mann und schlug in den Fack-Njus wild um mich. Die Zeitung transportierte 
          eine Mischung aus Sexualliberalismus und Linkspropaganda, in Vietnam 
          war Krieg, und ich schaffte es, in meinen Leitartikeln so unterschiedliche 
          Themen wie Onanie und Anarchie unterzubringen. Obwohl, vielleicht sind 
          sie gar nicht so unterschiedlich. Wir veröffentlichten auch die 
          erste Karte der Welt, auf der eingezeichnet war, wo in Sävsjö 
          unser Kondomautomat stand, wir griffen fast alles von links an, nicht 
          zuletzt die reaktionäre Schulleitung, und zwei Tage nach Erscheinen 
          verbot der Rektor unsere Schülerzeitung. Es war phantastisch. Daß 
          Worte einen solchen Wirbel hervorrufen konnten. Über Lautsprecher 
          befahl der Rektor, daß wir Schüler in der nächsten Pause 
          alle Fack-Njus' in eigens aufgestellte Papierkörbe werfen sollten. 
          Wir hatten auch noch die Frechheit besessen, uns den Schmonzes bezahlen 
          zu lassen, schon allein das war ein Vergehen. Einige Stunden später 
          wurde ich zum Rektor gerufen, der mir ordentlich den Marsch blies. Ein 
          Gast, ein Journalist von der Lokalpresse, saß dabei, hörte 
          zu und schrieb mit. "Ha!", sagte der Rektor. "Hast du 
          es jetzt kapiert?"
 Der Diktator hatte tatsächlich Angst. Es war die Zeit, in der Jugendliche 
          es wagten, der Macht der Erwachsenen zu trotzen. Die Erwachsenen schlugen 
          hart zurück. Doch der Journalist, kein ganz junger Mann mehr, ging 
          in seine Redaktion und schrieb einen Artikel über die erfrischende 
          Initiative, die junge Leute an der Kommunalen Realschule gezeigt hatten.
 
 An jenem Tag beschloß ich, für den Rest meines Lebens zu 
          schreiben. Worte waren wichtig, wichtiger als alles andere. Fack-Njus 
          wurde zwar verboten, aber der Hausmeister der Schule war auf unserer 
          Seite. Er vervielfältigte die Zeitung nachts auf dem Kopierapparat 
          im Keller der Schule. Underground! Nicht alle Erwachsenen waren Feinde! 
          In jenem Jahr gaben wir mehrere Nummern heraus, und im Vertrieb der 
          Zeitung arbeitete ein Mädchen, das später meine Frau werden 
          sollte und es immer noch ist.
 
 Ich wurde Journalist und arbeitete als solcher zwanzig Jahre lang. Himmel, 
          ich BIN immer noch Journalist, so was wird man nie mehr los. Wenn ich 
          für meine Bücher recherchiere, bin ich Journalist, wenn ich 
          schreibe, bin ich Autor. Die Sprache unterscheidet sich: Journalismus 
          soll im besten Sinn des Wortes eindimensional, Literatur dagegen muß 
          vielschichtig sein, und die Interpretationsmöglichkeiten müssen 
          noch vielschichtiger sein.
 Ich war Nachrichtenreporter bei Zeitungen, aber später schrieb 
          ich vor allem Reportagen und führte Interviews. Ich arbeitete auch 
          auf der anderen Seite des Schreibtischs, redigierte, war Nachtchef, 
          Tagchef.
 Ich studierte Literaturwissenschaften und Journalismus.
 Ich arbeitete freiberuflich als Journalist und reiste einige Jahre viel 
          in der Welt umher, in erster Linie in Indien und Südostasien.
 Ich arbeitete als UNO-Redakteur im Mittleren Osten.
 Ich wurde Vater von zwei Kindern.
 Ich wurde Lehrer an der Hochschule für Journalismus und schrieb 
          zwei Bücher über Journalismus und das Zeitungsmachen, und 
          dann wollte ich mich verändern. Ich war neugierig, ob ich Prosa 
          schreiben, Figuren Leben einhauchen, Milieus interessant und fesselnd 
          gestalten, glaubwürdige Dialoge schreiben kann. Das war 1993. Herausfinden 
          konnte ich es nur so, indem ich mich hinsetzte und schrieb. Und das 
          habe ich getan."
 
 Autor: Åke Edwardson - 2006, das Literaturportal 
          schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien sagt vielen Dank an den 
          claassen Verlag (Ullstein Buchverlage GmbH) und an Åke Edwardson 
          für die Veröffentlichungserlaubnis.
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