| Wenn die Geschichte raus muss - Håkan 
        Nesser im Gespräch mit schwedenkrimi.deAnlässlich der deutschen Veröffentlichung des 8. Romans aus 
        der Van Veeteren-Reihe, "Der Tote am Strand", gab Håkan 
        Nesser uns, dem Literaturportal schwedenkrimi.de, ein Interview und berichtet 
        von Inspiration, Blut, Schweiß und Tränen eines Schriftstellers.
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Herr Nesser, Ihr Kommissar Van Veeteren gilt als wortkarg. - Gilt das 
        auch für seinen Erfinder?
 
 Håkan Nesser:
 Nein, ich war 25 Jahre lang Lehrer. Da kann man nicht wortkarg sein, das 
        geht gar nicht. Man muss ja die ganze Zeit reden. Wortkarg bin ich nur, 
        wenn ich schreibe, aber ich glaube nicht, dass mich einer meiner Freunde 
        als wortkarg bezeichnen würde - im Gegenteil!
 Literaturportal schwedenkrimi.de:Ist Van Veeteren in all den Jahren so etwas wie ein guter Freund für 
        Sie geworden?
 
 Håkan Nesser:
 Ja, ein guter Freund, das ist das mindeste, was ich über ihn sagen 
        kann. Das passiert einfach, wenn man längere Zeit über ein und 
        dieselbe Person schreibt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom 
        Don Quijote-Syndrom. Cervantes schrieb an dem ersten Buch über Don 
        Quijote und je mehr er schrieb, desto mehr mochte er ihn und musste über 
        ihn lachen. Man kann vielleicht ein Buch mit einem unsympathischen Helden 
        schreiben, aber nicht mehrere. Van Veeteren ist für mich ein guter 
        Freund und vielleicht so etwas wie eine Vaterfigur. Er ist älter 
        als ich, er ist klug, er hat mehr Erfahrung als ich und er weiß 
        mehr vom Leben als ich. Von ihm lerne ich. Das klingt vielleicht komisch, 
        aber wenn ich über ihn schreibe, dann geschieht das immer mit großem 
        Respekt vor ihm. Er steht etwas über mir sozusagen.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Gibt es Eigenschaften, die sie besonders an ihm mögen?
 
 Håkan Nesser:
 Er ist ja immer etwas knötterig und ruhig. Aber ich glaube, so wird 
        man nach über 30 Jahren bei der Polizei. Man hat so viel Böses 
        und so viel Negatives gesehen. Da ist es nur natürlich, dass man 
        mehr und mehr deprimiert wird. Aber er entwickelt sich dennoch weiter. 
        Es gibt ja im Schwedischen 10 Bücher über Van Veeteren. Im ersten 
        ist er 55 und im letzten 65. Die Entwicklung verläuft zunächst 
        negativ. Er wird immer schwermütiger. In Buch Nr. 7 geschieht das 
        Schlimmste, was überhaupt passieren kann. Sein Sohn wird ermordet. 
        Da wird alles um ihn herum schwarz, aber dann geht es auch wieder Berg 
        auf mit ihm - Dank einer Frau natürlich!
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Im Moment ist schwedische bzw. skandinavische Kriminalliteratur in Deutschland 
        äußerst populär. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
 Håkan Nesser:
 Ich finde das ein wenig seltsam und auch erfreulich. Aber eigentlich 
          sollte man das die deutschen Leser fragen. Ich kann darauf nicht antworten, 
          ich kann nur spekulieren. Viele sagen, dass es daran liegt, dass es 
          gute und spannende Geschichten sind und es ist momentan - wenn man von 
          der postmodernistischen Literatur absieht - die einzige realistische 
          Literatur. Es gibt im Augenblick keine andere realistische Literatur 
          und Kriminalliteratur ist immer realistisch. Außerdem kann sie 
          auf existentielle Fragen eingehen und richtig gute Literatur sein. Ich 
          stelle jedenfalls bei einem Krimi dieselben Ansprüche an mich was 
          Gestaltung und Charaktere angeht, die ich mir auch stelle, wenn ich 
          einen anderen Roman schreibe.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 In Ihrem neuen Krimi "Der Tote am Strand" spielt Ewa Moreno 
          eine Hauptrolle - Im Schwedischen heißt der Roman ja auch "Ewa 
          Morenos fall" (Ewa Morenos Fall). Warum musste Van Veeteren zurücktreten?
 
 Håkan Nesser:
 Ich sehe die zehn Van Veeteren Bücher als Gesamtheit. In den ersten 
          fünf arbeitet Van Veeteren als Kriminalkommissar. Nach Fall Nummer 
          fünf arbeitet er als Antiquariathändler und die anderen Polizisten 
          erhalten mehr Platz, aber Van Veeteren wird immer wieder in die Fälle 
          hineingezogen. Ich wollte auch über die anderen schreiben. Ich 
          wollte vor allem zehn verschiedene Geschichten schreiben und mehr differenzieren.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Das heißt, nach zehn Büchern mit Van Veeteren ist Schluss?
 
 Håkan Nesser:
 Ja, richtig, nach zehn Büchern mit Van Veeteren ist Schluss. Ich 
          fand, es war besser zehn gute Bücher zu schreiben, als 15 schlechte. 
          Aber schon im März nächsten Jahres kommt ein neuer Roman von 
          mir auf Deutsch heraus.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de
 Etwa die deutsche Version von "Kim Novak badade aldrig i Genesarets 
          sjö"?!
 
 Håkan Nesser:
 Genau! Ich bin sehr gespannt, wie das Buch in Deutschland ankommen wird, 
          denn es ist ein urschwedisches Buch. Es spielt im Schweden der 60er 
          Jahre und im Mittelpunkt stehen zwei Jungs und ihr Erwachsenwerden.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Aber eine Leiche gibt es auch und man erfährt am Ende nicht, wer 
          der Mörder ist!
 
 Håkan Nesser:
 Ja, das ist richtig. Dabei ist das für mich selbst gar nicht so 
          wichtig. Ich weiß, dass sie in Schweden in der Oberstufe darüber 
          abstimmen, wer der Mörder ist, aber für mich geht es vor allem 
          um das Erwachsenwerden der zwei Jungs.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Ich habe gehört, das Buch wird in Schweden gerade verfilmt?
 
 Håkan Nesser:
 Ja, wir sind dabei. Ich schreibe auch am Manuskript mit, aber noch ist 
          die Finanzierung nicht ganz geklärt. Wir wollen ihn im nächsten 
          Sommer einspielen - den Film muss man im Sommer drehen! Aber ich werde 
          bis 2008 darüber schweigen, wer der Mörder ist.
 2008 werde ich es verraten - Zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Wissen Sie auch schon, wann es eine deutsche Übersetzung von den 
          anderen Romanen geben wird?
 
 Håkan Nesser:
 Ich habe zwei sehr gute deutsche Übersetzerinnen, Christel Hildebrandt 
          und Gabriele Haefs. Ich habe sie am Montag getroffen, als ich in Hamburg 
          war und Christel erzählte, dass sie dabei ist, "Barins triangel" 
          zu übersetzen. Vermutlich wird es 2004 erscheinen. "Kim Novak" 
          erscheint auf jeden Fall im März 2003, das weiß ich.
 Es sind ja nur noch zwei Bücher aus der Van Veeteren-Reihe übrig, 
          also müssen sie jetzt anfangen, auch die anderen Romane zu übersetzen...
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Noch mal zurück zu Van Veeteren. Die Geschichten spielen in Maardam, 
          einer fiktiven Stadt. Warum?
 
 Håkan Nesser:
 Die Frage wird mir natürlich oft gestellt. Ich weiß nicht 
          so recht. Als ich anfing zu schreiben, wusste ich intuitiv, dass die 
          Geschichten in einer fiktiven Landschaft spielen sollten. Warum ich 
          das wußte, weiß ich nicht. Aber ein Buch ist ja eigentlich 
          nichts anderes als ein Gespräch zwischen zwei Menschen, zwischen 
          dem Autor und dem Leser. Wenn ich lese, schaffe ich mir meine eigenen 
          Vorstellungen von dem, was geschieht. Bilder entstehen in meinem Kopf 
          und auf diese Weise wirke ich an dem Roman mit. Wenn ich schreibe, dass 
          es ein kalter und regnerischer Novemberabend in Maardam war, dann entstehen 
          in den Köpfen der Leser Bilder. Wenn ich das selbe über Paris 
          schreibe, dann entsteht auch ein Bild, aber dieses Bild gibt es bereits 
          in der Realität. Ich rufe dann ein Bild hervor, dass es schon gibt. 
          Wenn ich aber über ein fiktives Land schreibe, ist der Leser viel 
          mehr involviert und schafft sich sein eigenes Maardam und niemand kann 
          sagen, dass das Bild falsch sei. Man kann das mit dem Theater vergleichen. 
          Wenn man z.B. ein klassisches griechisches Stück oder Shakespeare 
          aufführt, hat man oft fast keine Requisiten. Nur einen schwarz 
          und weiß stilisierten Hintergrund. Es gibt nichts außer 
          dem Drama und den Schauspielern. Durch diesen stark stilisierten und 
          fiktiven Hintergrund wird gleichzeitig alles deutlicher und existentieller.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Woher bekommen Sie die Ideen für Ihre Romane?
 
 Håkan Nesser:
 Darauf habe ich eine gute Antwort! Ich zitiere einen anderen schwedischen 
          Autor und Komiker, Hans Alfredsson, dem diese Frage oft gestellt wurde 
          und der darauf immer antwortete: "Von einer kleinen Firma aus Deutschland, 
          aber fragen Sie mich nicht nach der Adresse!" Ernsthaft, ich weiß 
          es nicht. Die Ideen tauchen in meinem Kopf auf, man muss sich nicht 
          anstrengen, man muss nicht denken, das geschieht automatisch. Die Ideen 
          kommen einfach - Von irgendwo her.
 
 
 
                  
 
                    | Buchtipp |  
                    |  |            Literaturportal schwedenkrimi.de:Autorin:Haben Sie ein spezielles Ritual, wenn Sie anfangen, an einem Buch zu 
          schreiben?
 
 Håkan Nesser:
 Nein, eigentlich nicht. Ich konnte immer ganz gut schreiben, wenn die 
          Klasse über eine Arbeit gebeugt saß und ich vorne am Pult 
          schreiben konnte. Außerdem schreibe ich gerne morgens. Da ist 
          man noch klar im Kopf und schreibt besser - ich schreibe jedenfalls 
          besser. Beim Zug fahren, wenn die Landschaft an einem vorbei fliegt, 
          schreibe ich auch gerne. Übrigens fange ich immer an, von Hand 
          zu schreiben. Ich finde, das ist schön, mit Stift und Block dazusitzen 
          und zu schreiben.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Was ist das schwierigste beim Schreiben?
 
 Håkan Nesser:
 Am irritierendsten ist es, wenn man eine Geschichte im Kopf hat und 
          weder Papier noch Stift noch ein PC in der Nähe sind, um sie aufzuschreiben. 
          Dann wartet man immer darauf, dass man eine Gehirnblutung bekommt und 
          poff, weg ist alles!
 Jetzt, im Augenblick, schreibe ich übrigens auch. Gestern abend 
          habe ich geschrieben. Ich konnte nicht warten, die Geschichte muss jetzt 
          raus, sie gibt es jetzt. Wenn ich zwei Monate oder so warte, ist sie 
          weg. Sie muss geschrieben werden, bevor alles weg ist. So ist das jedenfalls 
          bei mir.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Gibt es spezielle Eigenschaften, die ein Autor haben sollte?
 
 Håkan Nesser:
 Es ist gut, wenn man mit der Sprache auf gutem Fuß steht. Man 
          sollte eine gute Sprache haben und ein eigenes, persönliches Verhältnis 
          zu ihr. Und dann braucht man noch Beharrlichkeit. Gerade junge Leute 
          fragen mich immer wieder nach der Inspiration, aber das Schreiben ist 
          auch ein Handwerk. Man muss es als Arbeit ansehen, denke ich. Man kann 
          einige Bücher im "Flow" schreiben, wie es heißt, 
          wie in einem Fluss durch, aber will man dann als Verfasser weitermachen 
          und 'erwachsen' werden, muss man auch verstehen, dass das Schreiben 
          eine Mischung ist zwischen Herz und Verstand. Man muss mit Blut und 
          Hirn schreiben, um gut zu werden. Aber Sprache und Beharrlichkeit sind 
          sicher das wichtigste.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Zum Abschluss die Frage, wie, glauben Sie, wird die Kriminalliteratur 
          in 10 - 15 Jahren aussehen?
 
 Håkan Nesser:
 Ich glaube, was die Anzahl angeht, wird sie zurückgehen. Es werden 
          nicht mehr so viele Bücher geschrieben werden. Aber es gibt ja 
          viele Subgenres, die Polizeiromane z.B. oder die Whodunit?'s. Die wird 
          es auch weiter geben, aber es wird weniger sein. Im Augenblick gibt 
          es eine Dominanz an Polizeiromanen. Die werden vielleicht zurückgehen, 
          aber sie werden nicht notwendigerweise durch Private-Eye-Romane ersetzt 
          werden. Es wird eine andere Form von Kriminalromanen entstehen.
 
 Literaturportal schwedenkrimi.de:
 Herr Nesser, wir danken Ihnen für das Gespräch!
 Alexandra Hagenguth/
 © Oktober 2002 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur 
              Skandinavien
 |